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    Was essen die, die’s besser wissen?

     

    Dr. med. Anne Fleck

    Fachärztin für Innere Medizin, Rheumatologie und Ernährungsmedizin

     

     

    Es ist Winter, endlich wieder Zeit für eine richtig schöne Erkältung! Aber stimmt es überhaupt, dass wir öfter krank werden, wenn es kalt wird?

    Dr. Anne Fleck: Oft sind es die plötzlichen Witterungseinflüsse, die dem Organismus zu schaffen machen. „Der Keim ist nichts, der Nährboden ist alles“ bedeutet: Eine banale Infektion kann sich nur dann im Körper ausbreiten, wenn er den Nährboden dazu liefert. Dazu zählt die unzureichende Funktion des Immunsystems: „kalte Füße“, die anfällig machen können, ein ungesundes Darmmilieu oder trockene Heizungsluft, die die Feuchtigkeit der Schleimhäute reduziert und dadurch die „lokale Abwehrtruppe“ im Nasen-Rachen-Raum schwächeln lässt.

    Welche Vitalstoffe sind jetzt im Winter besonders wichtig für das Immunsystem und wie können wir diese besser aufnehmen?

    Dr. Anne Fleck: Vitamin D3: nicht nur für gesunde Knochen, das Herz-Kreislauf-System und gegen Lichtmangeldepression, sondern auch als Helfer des Immunsystems. Der Winter ist prädestiniert für D3-Mangel, da wir die für die adäquate Bildung notwendigen UV-Strahlen in unseren Breitengraden nur zwischen April und September tanken können. Vitamin D3 benötigt zur Aufnahme im Körper die Anwesenheit von Fett, daher empfiehlt es sich, D3 mit dem Essen einzunehmen oder auf Präparate mit Ölzusatz zu setzen. Zink als Mineralstoff ist ebenfalls mein Tipp, insbesondere Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Notwendigkeit für immunsuppressive Medikamente, wie Rheumatikern, empfehle ich die abendliche Einnahme von Zink(-Orotat), zum Beispiel 25 Milligramm. Abends wird Zink optimal resorbiert.

    Vitalstoffmangel zeigt sich ja oft gar nicht durch in erster Linie körperliche, „klassische“ Symptome – man ist vielleicht ein bisschen müde oder unkonzentriert. Wie können wir lernen, rechtzeitig zwischen ganz normalen Stimmungsschwankungen und echten Mangelerscheinungen zu unterscheiden?

    Dr. Anne Fleck: „Vitalstoff“ ist eine Art „Chamäleonbegriff“. Die sensible Feindiagnose der Symptome „Fatigue“ (Müdigkeit), eingeschränkte Belastungstoleranz oder sogar Stimmungsschwankungen gehört in die Hände des erfahrenen Facharztes. Denn dies können auch Symptome für schwerwiegende Erkrankungen sein. Bei Verdacht zum Beispiel auf Vitamin-D3-, Vitamin-B12-, Eisen- oder Magnesiummangel gibt eine solide Blutuntersuchung Gewissheit. Auch ein klassischer Eiweißmangel durch unzureichende Nahrungszufuhr kann das Immunsystem deutlich schwächen und zu Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Haarausfall oder brüchigen Nägeln führen.

     

     

    Dr. med. Matthias Riedl

    Facharzt für Innere Medizin, Diabetologe & Ernährungsmediziner

     

    Welche Rolle spielen individuelle Unterschiede (Alter, Geschlecht, Lebensstile et cetera), wenn es um den Vitalstoffbedarf und das Immunsystem geht?

    Dr. Riedl: In puncto Vitaminen erhöht sich der Bedarf in der Jugend, der Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Leistungssport und im hohen Alter wegen der nachlassenden Aufnahmefähigkeiten. Ebenso kann Dauerstress den Vitaminbedarf erhöhen. Das gilt insbesondere für das Vitamin B12 aus tierischen Produkten. Es ist auch bei Vegetariern nach einigen Jahren im Minus, da die Speicher nur drei Jahre halten. Einige Medikamente wie das Diabetesmedikament Metformin und das Magentherapeutikum Omeprazol vermindern die Aufnahme des Vitamins. Beide Präparate sind weitverbreitet. In der Jugend und bei Schwangerschaft ist auch der Mineralstoffbedarf zum Teil erhöht, wie beim knochenbildenden Calcium.

    Wir Menschen haben die längste Zeit in kleinen, sehr naturverbundenen Gruppen gelebt. In den letzten Jahrhunderten haben Umwelt und Lebensweise sich drastisch verändert. Verkürzt gefragt: Kommt unser Immunsystem da eigentlich mit? Oder müssen wir unserer Evolution da quasi auf die Sprünge helfen? 

    Dr. Riedl: Ja, die frühe Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Erregern, Würmern und Parasiten scheint unser Immunsystem zu stärken und zu üben. In unseren reinen Haushalten findet dieser Kontakt nicht mehr statt. Die Folge ist ein Anwachsen von Allergien und Autoimmunkrankheiten wie die Darmentzündung Colitis ulcerosa, die bei Ureinwohnern praktisch nicht vorkommt. Also, kleinliche Reinlichkeit muss auch seine Grenzen bekommen. Kinder müssen mit der Umwelt in Kontakt geraten und das Immunsystem muss in Übung bleiben. Das gilt natürlich nicht für potenziell tödliche Erkrankungen wie Masern und Co.

    Forschung und Entwicklung machen teilweise spektakuläre Fortschritte – gibt es bald die „Pille für alles“? Morgens eine Tablette und nie wieder krank?

    Dr. Riedl: Davon sind wir weiter denn je entfernt. Im Gegenteil, die Richtung geht hin zur menschengerechten Lebensweise. Wenn Dauerstress, Bewegungsmangel und falsche, nicht artgerechte Ernährung den Großteil unserer Erkrankungen darstellen, wäre diese Pille auch der falsche Weg. Der Mensch muss in Vorbeugung dieser Zivilisationskrankheiten all das bekommen, was er für eine normale Funktion braucht: gemüsereiche Nahrung, Stressausgleichsphasen, viel soziales Leben in der Gemeinschaft und täglich Bewegung. Dann habe ich in meiner Praxis praktisch nichts mehr zu tun.

     

     

    Dr. med. Jörn Klasen

    Facharzt für Innere Medizin, Anthroposophische Medizin, Naturheilverfahren, Dipl. Heilpädagoge

     

    Ein menschliches Phänomen, das im medizinischen Kontext besonders verwundert, ist bekanntlich die Inkonsequenz. Wir wissen, dass ein Apfel am Tag super wäre – aber wir essen ihn einfach nicht!

    Dr. Klasen: Wir Menschen sind nicht perfekt und immer wieder inkonsequent, selbst wenn wir um die Nachteile wissen. Deshalb sind 60 bis 70 Prozent der chronischen Erkrankungen durch unseren Lebensstil begründet. So haben wir in einer Sendung darauf hingewiesen, dass der Drang nach Süßigkeiten durch ein Bitterstoffkonzentrat zurückgedrängt werden kann. Am nächsten Abend waren in den Hamburger Apotheken die Bitterstoffkonzentrate ausverkauft. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben des Ernährungsberaters, dem Patienten durch die Kombination von Empathie und Druck in die richtige Spur zu verhelfen.

    Einige Menschen helfen sich ja mit Nahrungsergänzungsmitteln weiter, um das Immunsystem zu stärken. Doch was ist eigentlich der Unterschied zwischen dem Vitamin C in der Banane und dem in der Tablette?

    Dr. Klasen: Wir benötigen keine Nahrungsergänzungsmittel, wenn wir uns gesund und ausgewogen ernähren. Das gilt auch für das Vitamin C in der Tablette. Da ist die Banane deutlich besser. Wir decken nämlich mit 100 Gramm Banane nicht nur 15 Prozent des täglichen Bedarfs an Vitamin C, sondern nehmen gleichzeitig noch die Vitamine A, B (verschiedene) und E zu uns und darüber hinaus noch Fett, Kohlenhydrate und Ballaststoffe. Insofern ist das Vielstoffgemisch Banane deutlich günstiger.

    Gibt es aus Expertensicht so etwas wie „besseres oder schlechteres“ Gemüse? Was halten Sie von dem Begriff „Superfood“?

    Dr. Klasen: Es ist Unsinn von besserem oder schlechterem Gemüse zu sprechen. Jedes Gemüse hat seine besonderen Eigenschaften. So ist Spinat reich an Eisen – allerdings nicht so ausgeprägt, wie man früher glaubte –, Spinat und Brokkoli sind reich an Mineralien und Vitaminen, Grünkohl hat einen sehr hohen Vitamin-C-Gehalt, Hülsenfrüchte sind reich an Eiweiß und Topinambur ist durch das Präbiotikum Inulin hervorzuheben. So könnte die Liste weiter fortgesetzt werden. Alle Gemüse haben einen wichtigen Stellenwert für unsere Ernährung durch ihre Ballaststoffe, die Lebensgrundlage für unsere Darmbakterien, die Mikrobiota, sind. Diese sind notwendig für unser Immunsystem. Von diesem befinden sich 70 Prozent im Darm. Um Rückstände aus Pflanzenschutzmitteln zu vermeiden, sollte Gemüse aus biologischem oder biologisch-dynamischem Anbau verzehrt werden. Wir haben heute sehr viele gute und wertvolle Lebensmittel. Der Begriff „Superfood“ meint eigentlich diese nährstoffreichen Lebensmittel, die als besonders förderlich für Gesundheit und Wohlbefinden erachtet werden. Da er heute meist irreführend zu Werbezwecken genutzt wird, ist er überflüssig.

    Wie bereiten Sie sich als Experte auf die kalte Jahreszeit vor? Welche Tipps haben Sie für unsere Leser?

    Dr. Anne Fleck: Als „Weißkittel“ habe ich in meiner Praxis täglich mit vielen Menschen zu tun, in Bus und U-Bahn, in der Öffentlichkeit, theoretisch „lauern“ überall Gefahren für Infektionen. Mein Rat: Füße und Körper möglichst warm halten, regelmäßig über den Tag verteilt warme bis heiße Flüssigkeit trinken (mein Favorit: frischer Ingwertee, gegebenenfalls mit Zitrone, jedoch nicht mit kochendem Wasser übergießen, das zerstört die wertvollen ätherischen Öle des Ingwers, wie Gingerol oder Shogaol) und bei den ersten Anzeichen einer Erkältung eine hoch dosierte Zinkgabe (25 bis 50 Milligramm) und ein paar Datteln pro Tag – die schmecken, wirken lokal antimikrobiell und liefern nebenbei viel Kalium und Magnesium.

    Dr. Riedl: Möglichst täglich Sport und am besten zweimal die Woche an frischer Luft, das stärkt nachweislich die Widerstandskraft. Danach belohne ich mich mit einem Saunagang, mindestens zweimal die Woche. Ich achte  besonders auf früheres Ins-Bett-Gehen. Schlaf ist Regeneration für unser Immunsystem. Viel Gemüse und Salat für eine gesunde Darmflora, die die Abwehr stärken kann. Und Hände waschen vor dem Essen und beim Nachhausekommen und immer wieder zwischendurch. In öffentlichen Verkehrsmitteln fasse ich keine Griffe mit der Hand an, sondern drücke mit dem Knöchel. Da lauern die Erreger. Wenn es mich erwischt hat, nehme ich auch mal eine Woche Zinktabletten.

    Dr. Klasen: Zunächst sind ausreichend Schlaf, zum Beispiel von 23.00 bis 7.00 Uhr, und mindestens 30 Minuten Bewegung am Tag wichtig. Und achten Sie darauf, dass Sie sich warm kleiden und Ansammlungen von hustenden und niesenden Menschen meiden. Jetzt ist es besonders gut, wenn Sie regelmäßig und in Ruhe essen. Die richtige Richtung liegt auch zu dieser Zeit in der alten mediterranen Küche. Das bedeutet so weit als möglich frisches Gemüse, Obst und Salate aus der Region. Wo das nicht möglich ist, greifen Sie zu Tiefkühlkost. Essen Sie wenig Fleisch und Fisch, maximal zwei- bis dreimal pro Woche, und ernähren Sie sich überwiegend vegetarisch, das heißt zwei bis drei Handvoll Gemüse und zwei Handvoll Obst am Tag. Meiden Sie Fertiggerichte – sie enthalten zu viele Zusatzstoffe sowie Zucker – und insbesondere Fast Food. Achten Sie auf zwei bis drei Esslöffel gutes Öl am Tag; dazu gehören: Lein-, Hanf-, Weizenkeim-, Kürbiskern- und Olivenöl. Trinken Sie zwei Liter am Tag. Selbst gemachter Holunderblütensaft ist im Winter ausgezeichnet. Aber auch Kräutertees wie Fenchel- und Pfefferminztee sind gut.

    Welche drei Nahrungsergänzungsmittel nehmen Sie mit auf eine einsame Insel?

    Dr. Anne Fleck: Da ich als Optimist auf einer einsamen Insel mit ausreichender Vitamin-D3-Versorgung rechne, packe ich mir Nahrungsergänzung ein – ohne Zusatzstoffe, Aromen, Alkohol oder künstliche Süßungsmittel: Magnesiumcitrat für ein gesundes Herz-Kreislauf-System, Stresstoleranz, Muskelsystem und Stoffwechsel, Bitterstoffe für eine gesunde Verdauung und Omega-3-Fettsäuren mit DHA-Zusatz (Docosahexaensäure), da alleine Leinöl nicht für die Versorgung mit langkettigen Fettsäuren ausreicht.

    Dr. Riedl: Vitamin D, weil ich ganzjährig einen Mangel habe, trotz Draußensport, Leinöl, um meine Fettsäureaufnahme zu optimieren (machen die meisten Ernährungsmediziner), und ein paar Ingwerknollen für meinen Ingwertee. Sie wirken  hemmend für stille Entzündungen und der Tee schmeckt mir auch noch gut.

    Dr. Klasen: Wenn dort genügend Sonne ist: neben meiner Frau Vitamin B12, Vitamin C und Zink.

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