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    Jedes Kind wird in eine Welt voller Merkwürdigkeiten geboren

    Foto: SERGEI PRIMAKOV via Shutterstock

    Das Glaukom, auch Grüner Star genannt, ist eine Erkrankung des Auges. Man unterscheidet zwischen dem primären, angeborenen Glaukom und dem sekundären, erworbenen Glaukom. Die Krankheit zeichnet sich durch den fortschreitenden Verlust von Nervenfasern des Sehnervs aus. Schreitet die Krankheit fort, entstehen Gesichtsfeldausfälle. In extremen Fällen ist sogar eine Erblindung möglich.

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    Jens Flach

    Stellv. Vorsitzender und Leitung Fachbereich Kinder Bundesverband Glaukom-Selbsthilfe e. V.

    Da der Verlauf oft träge und schmerzlos ist, liegt die Gefahr in der späten Diagnose. Vorsorgeuntersuchungen sind obligatorisch für die möglichst frühe Feststellung der Krankheit. Um kleinste Veränderungen im Auge festzustellen, erfassen hochspezialisierte Geräte Schädigungen des Auges.

    Wird eine Erkrankung festgestellt, wird im ersten Schritt mittels Augentropfen behandelt. Dadurch soll der Augeninnendruck gesenkt werden. Führt dies nicht zum gewünschten Erfolg, werden weitere Verfahren eingesetzt. Abhängig von den individuellen Gegebenheiten des Patienten, können Laser- oder Operationsverfahren sinnvoll sein.

    Im Interview erzählt Jens Flach über sein Leben mit dem angeborenen Glaukom.

    Wann haben Sie erfahren, dass Sie vom Glaukom betroffen sind, und wie hat sich die Krankheit bei Ihnen geäußert?

    Das Glaukom wurde bei mir im Alter von fünf Monaten festgestellt. Ich hatte Glück, dass der Kinderarzt meine großen Augen nicht als „süß“ abgetan, sondern als Symptom des angeborenen Glaukoms erkannt hat.

    Bei dieser Form der Erkrankung steigt der Augeninnendruck an und das noch elastische Gewebe des jungen Auges dehnt sich. So kommt es zu den typischen großen Augen bei Kindern mit Glaukom. Das gefährliche daran: der Sehnerv wird geschädigt, was bis zur vollständigen Erblindung führen kann.

    Ich bin also mit der Erkrankung aufgewachsen. Regelmäßige Kontrolltermine bei Augenärzten oder Aufenthalte in Augenkliniken gehörten von Anfang an genauso dazu wie die Seheinschränkungen im Alltag.

    Sie kennen es nicht anders.

    Richtig. Aber jedes Kind wird in eine Welt voller Merkwürdigkeiten geboren – und lernt diese als „normal“ zu akzeptieren. Für mich ist es normal, dass ich zum Beispiel schneller geblendet bin.

    Wie wird ein angeborenes Glaukom behandelt?

    Zunächst operativ, um den Abfluss des Kammerwassers zu verbessern. Später kann man auch versuchen, den Zufluss zu regulieren. Zusätzlich gibt es natürlich auch Augentropfen, bei den Glaukom-Formen im Erwachsenenalter sind diese oft die erste Wahl, bei Kindern wird wegen des überflüssigen Gewebes jedoch zuerst
    operiert und die Tropfen dienen als Begleittherapie.

    Wie verlief die Behandlung bei Ihnen?

    Trotz des Glücks der frühen Diagnose konnten zehn Glaukom-Operationen und tägliche Augentropfen das Fortschreiten der Erkrankung bei mir nicht aufhalten. Zur zweiten Klasse wechselte ich auf eine spezielle Schule für Blinde und Sehbehinderte. Dort habe ich neben der regulären Schulbildung vieles gelernt, was mir noch heute hilft, das fehlende Sehvermögen zu kompensieren. Nach einer zusätzliche Netzhautablösung, die vier weitere OPs nötig machte – und einer Hornhauttrübung, die auf die Strapazen der zahlreichen OPs zurückzuführen ist – beschränkt sich mein Sehvermögen nunmehr auf Lichtwahrnehmung und das Erkennen schemenhafter Umrisse direkt vor den Augen.

    Man kann auch mit Sehbehinderung ein gutes Leben führen.

    Es ist mir aber wichtig zu betonen, dass ich nicht als Paradebeispiel für den Verlauf des angeborenen Glaukoms dienen kann. Die US-amerikanische Glaucoma Reseach Foundation gibt an, dass 80 Prozent der diagnostizierten Kinder nach nur einer OP einen stabilen Augeninnendruck aufweisen. Wenn ich überhaupt als Beispiel dienen kann, dann um zu zeigen, dass man auch mit einer Sehbehinderung ein gutes Leben führen kann. Ich lebe mit meiner Frau und unseren drei Kindern im eigenen Haus, unterrichte als Gymnasiallehrer an einer Schule für Blinde und Sehbehinderte, und bin regelmäßig mit meiner Band unterwegs. Technische Fortschritte, wie „sprechende Smartphones“, helfen natürlich sehr.

    Ihre Tochter hat die Krankheit ebenfalls. Wie gehen Sie als Familie damit um? Gibt es beim Glaukom im Kindesalter Unterschiede zum Glaukom im Erwachsenenalter?

    Da bekannt ist, dass es sich beim angeborenen Glaukom um eine Erbkrankheit handelt, waren wir vorgewarnt. Mit unserem ersten Sohn waren wir daher schon im Alter von sechs Wochen beim Augenarzt. Der Befund war negativ und ist es auch bei allen späteren Kontrollen geblieben. So waren wir dann auch mit unserer Tochter sechs Wochen nach ihrer Geburt zum Check. Der Augenarzt konnte zunächst keine Auffälligkeiten feststellen.

    Beim Folgetermin (mit etwa vier Monaten) kam dann aber die ernüchternde Nachricht: Verdacht auf angeborenes Glaukom. In der Augenklinik vor Ort wurde diese Diagnose bestätigt, man schickte uns aber fairerweise zu einer Spezialklinik. Zwar gehören Glaukom-OPs mittlerweile an vielen Kliniken zu den Routineeingriffen, doch nur wenige Ärzte in Deutschland operieren regelmäßig Kinder mit Glaukom und verfügen somit über die nötige Expertise. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass (laut Prof. Franz Grehn) nur 1 von 10.000 – 18.000 Kindern mit Glaukom auf die Welt kommt, wird schnell klar, dass dies keine Routine, sondern eine Seltenheit ist.

    Um bei der Statistik zu bleiben: Auch unser drittes Kind (ebenfalls ein Junge) ist nicht betroffen. Damit sind wir nicht auf Linie mit den Angaben von Prof. Grehn, der in seinem Standardwerk zur Augenheilkunde mit 60:40 eine leicht höhere Rate bei Jungen angibt. „Voll im Trend“ liegen meine Tochter und ich aber, wenn es darum geht, wie ausgeprägt das Glaukom auf beiden Augen ist. Grehn gibt an, dass in 54 Prozent bis 80 Prozent der Fälle die Augen unterschiedlich stark betroffen sind. Dies äußert sich zum Beispiel darin, dass der Augeninnendruck schwieriger operativ zu regulieren ist. So wurde das eine Auge meiner Tochter bislang drei Mal operiert und ist seither stabil und verfügt auch über eine fast normale Sehschärfe. Ihr zweites Auge wurde jedoch schon 14 Mal operiert und es noch kein zufriedenstellendes Ergebnis.

    Hieran lässt sich auch schon ablesen, dass die vielen Klinikaufenthalte meiner Tochter (gemeinsam mit meiner Frau) die größte Belastung für die ganze Familie sind. Es ist eine Mischung aus der psychischen Belastung, „hoffentlich hat diese OP mal eine langfristige Wirkung“ und dem organisatorischen Aufwand, weil ja zu Hause, auf der Arbeit, in der Schule und im Kindergarten alles ganz normal weiterlaufen muss.

    Es gibt in jedem Bundesland spezielle Frühförderstellen, die die Kinder von der Geburt bis zur Einschulung begleiten und fördern.

    Die Erkrankung selbst ist bei uns zu Hause kein Tabu-Thema, aber auch kein Dauerbrenner, der für Trübsal sorgt. Da hilft sicher die jahrelange Erfahrung, die ich selbst mitbringe und auch unsere Tochter wird immer selbstbewusster im Umgang damit.

    Lediglich als das Glaukom bei meiner Tochter diagnostiziert wurde, habe ich gemerkt, dass ich mich selbst falsch eingeschätzt hatte. Ich dachte immer, ich wisse wie alles geht. Nun war ich als Vater aber in einer anderen Rolle und es ging nicht um mich selbst. Meine Frau und ich mussten plötzlich Entscheidungen für unsere Tochter treffen. Und so bin ich dann auch zum Fachbereich Glaukom-Kinder Bundesverband Glaukom-Selbsthilfe gekommen, um mich mit anderen Eltern austauschen zu können.

    Das Sehvermögen unserer Tochter ist zumindest auf einem Auge sehr gut. Viele Leute sind verwundert, wenn wir erzählen, dass sie an einem angeborenen Glaukom leidet und schon so oft operiert wurde, weil man es ihr nicht anmerkt. Da sind eben nur die „schönen großen Augen“, auf die man sie besser nicht ansprechen sollte… Wenn man sie aber genauer kennt, fallen natürlich ein paar Dinge auf: Da ist die Blendempfindlichkeit und die Tatsache, dass ihr unübersichtliche Situationen mit viel Gewusel missfallen, weil man mit einem eingeschränkten Gesichtsfeld einen nicht ganz so optimalen Überblick hat. Auch in der Schule, die sie seit einem halben Jahr besucht, kann sie super mitarbeiten. Hier und da benötigt sie mal eine vergrößerte Kopie und die Lehrkräfte achten darauf, dass der Raum optimal ausgeleuchtet ist (nicht zu dunkel, aber auch keine Blendung). Wir haben uns aber bewusst für die hiesige Montessori-Schule entschieden, weil die Pädagogik Maria Montessoris durch ihren individuellen Zugang mehr Möglichkeiten bietet auf die Bedürfnisse unserer Tochter einzugehen, ohne auf Struktur und Anleitung
    zu verzichten.

    Was raten Sie Menschen, die selbst am Glaukom erkrankt sind?

    Auch hier kann ich nur für das angeborene Glaukom sprechen und wende mich daher eher an die Eltern: Eine kompetente medizinische Versorgung steht an erster Stelle. Man sollte sich also auf die Suche nach einer Klinik machen, die nicht nur alle Schaltjahre Kinder mit Glaukom behandelt. Doch sollte man auch die nicht-medizinischen Aspekte nicht vergessen.

    Die Entwicklung des Sehens ist immens wichtig und hat Einfluss auf die allgemeine Entwicklung eines Kindes. Es gibt in jedem Bundesland spezielle Frühförderstellen, die die Kinder von der Geburt bis zur Einschulung begleiten und fördern. Man sollte unbedingt Kontakt aufnehmen, da man dort auch Antworten auf alle alltäglichen Fragen bekommt und mit Tipps und Tricks versorgt wird. Überdies ist der Austausch mit anderen Eltern eine hilfreiche Sache. Man kann sehr von den Erfahrungen der anderen profitieren und findet immer ein offenes Ohr.

    Hier sind natürlich die Angebote unseres Vereins zu nennen. Der vielleicht wichtigste Punkt ist aber, dass man sich bewusstmachen sollte, dass es sich „nur“ um eine Augenerkrankung handelt. Es gibt also keinen Grund, die Kinder in Watte zu packen. Klar sollte man Gefahren vermeiden, aber ein Kind, dass die Chance bekommt, die Welt selbst zu entdecken und möglichst viel selbst auszuprobieren, wird auch später seinen Weg gehen.

    Sie sind Mitglied des Bundesverbands Glaukom-Selbsthilfe. Können Sie uns ein etwas über Ihre Arbeit für den Verband erzählen?

    Da die Zahlen der betroffenen Kinder so gering sind, gibt es keine lokalen Selbsthilfegruppen, in denen man Unterstützung erhalten könnte. Wir bieten Eltern daher die Möglichkeit uns telefonisch, per E-Mail, Facebook oder über unser Forum anzuschreiben. Außerdem organisieren wir alle zwei Jahre unseren Glaukom-Kindertag. Für die Kinder ist dies immer eine wichtige Erfahrung, da sie sehen, dass sie nicht alleine mit dieser Erkrankung sind.

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