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    „Demut ist mein Lebensmotto“

    Foto: Fotografie - Schmidt via Shutterstock

    Sie leiden unter einer chronischen Darmentzündung. Bitte erklären Sie die Erkrankung mit Ihren Worten.

    Mein Darm greift sich pausenlos selbst an. Bei Morbus Crohn gibt es verschiedene Formen und Krankheitsverläufe. Ich habe leider einen sehr schweren Verlauf, mit schweren Entzündungen.

    Durch diese Entzündungen haben sich bei mir auch immer Fisteln und Fissuren gebildet, die, wenn Medikamente nicht mehr anschlagen, chirurgisch entfernt werden müssen. Das war bei mir sehr oft der Fall. Wie viele Operationen ich schon hatte, kann ich gar nicht mehr zählen – es waren über ein Dutzend.

    Wie äußerte sich die Erkrankung vor der Diagnose?

    Ich bin von Natur aus ein sehr schlanker Mensch. In der Zeit vor der Diagnose, vor ziemlich genau zehn Jahren, habe ich in kurzer Zeit sehr schnell sehr viel Gewicht verloren. Anfangs wurde nur eine Anämie, also eine Blutarmut, festgestellt. Diese geht oft mit Morbus Crohn einher. Zudem hat sich zu dieser Zeit eine Analfissur gebildet.

    Der Amtsarzt hat jedoch leider die Anämie und die Fissur nicht zusammen betrachtet, sondern als zwei verschiedene Krankheiten. Erst im Krankenhaus, als die Fissur operiert wurde, hat mir ein Experte mitgeteilt, dass ich mit hoher Wahrscheinlichkeit an Morbus Crohn leide. Das hat sich dann auch bestätigt.

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    Hatten Sie vor der Diagnose keine Schmerzen?

    Nein, die Schmerzen kamen mit der ersten Fissur und sind seitdem mein ständiger Begleiter. Mit der Krankheit und den OPs einhergehend hat man häufig Durchfall und ist teilweise inkontinent. Es gab Tage, an denen ich bis zu 30-mal am Tag zur Toilette musste. Menschen, die das Glück haben, nicht an der Erkrankung zu leiden, aber schon einmal eine Hämorrhoide oder Analfissur hatten, kennen mei- nen Schmerz. Bei mir ist der allerdings chronisch.

    Kann man sich an den Schmerz gewöhnen?

    Nach den Operationen sind die Schmerzen am schlimmsten, die nehmen dann aber wieder ab. Alle zwei bis drei Monate musste ich operiert werden, was bedeutet, dass ich mit einem ständigen Schmerzkreislauf leben muss. Kamillesitzbäder oder ein Sitzring können ein wenig entlasten.

    Wie geht Ihr Umfeld damit um?

    Bei mir ist die Krankheit genetisch bedingt. Meine Mutter, mein Bruder und meine Cousine – sie alle haben Morbus Crohn. Dadurch, dass die Erkrankung in meiner Familie sehr präsent ist, ist das Verständnis von Natur aus da. Meine Freunde und Bekannten vergleichen Morbus Crohn häufig mit einem Reizdarm, was nicht stimmt. Durch Aufklärung und meine Art, offen mit dieser Krankheit umzugehen, hat mein Umfeld viel Verständnis für mich und meine Situation aufgebracht.

    Sie sind auch Papa. Oft ist dies Menschen mit Morbus Crohn nicht vergönnt.

    Im Jahr 2015 war ich körperlich so geschwächt, dass ich bei einer Körpergröße von 1,84 Meter nur noch 55 Kilogramm wog. Ich bin Justizvollzugsbeamter und wandelte wie eine lebende Leiche durch den Knast. Das ging so weit, dass sogar die Insassen mir nahegelegt haben, nach Hause zu gehen. Ich bin ein sehr pflichtbewusster Mensch und bin trotzdem weiter zur Arbeit gegangen – lieber habe ich mir Morphiumtropfen einverleibt, als zuhause zu bleiben. Das ging so weit, dass sogar manche Insassen mir nahegelegt haben, doch lieber nach Hause zu gehen.

    Mein Arzt legte mir damals nahe, einen künstlichen Darmausgang legen zu lassen. Das ignorierte ich, weil die Vorstellung, mit Ende 20 mit einem „Kackbeutel“ herumzulaufen, mein persönlicher Albtraum war. Das Resultat der Ignoranz war, dass mein Körper immer schwächer wurde, ich immer mehr an Gewicht verlor und ich schließlich einen Darmdurchbruch erlitt. Ich kam in die Notaufnahme, wo neben dem Durchbruch auch eine Blutvergiftung festgestellt und eine sofortige Notoperation veranlasst wurde.

    Bei dieser wurde ein halber Meter Darm entfernt und ein künstlicher Darmausgang, also ein Stoma, gelegt. Das Stoma hat mein Leben gerettet. Ein paar Stunden später hätten die Ärzte nichts mehr für mich tun können. Damals haben mir die Ärzte gesagt, dass ich wohl keine Kinder bekommen könnte, da ich sehr viele Medikamente eingenommen hatte – auch experimenteller Natur.

    Viele davon hatten die Nebenwirkung, auf die Potenz zu schlagen. Meine Frau und ich hatten uns mit dem Gedanken, niemals Kinder zu haben, auch schon abgefunden. Nach der Stomaoperation ist sie aber dann doch schwanger geworden. Meine Tochter ist also ein wahres Wunder. Jedes Mal, wenn ich in ihre Augen schaue, fühle ich Demut. Heute ist Olivia zwei Jahre alt.

    Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass ich jeden Tag zur Arbeit fahren darf, dass ich mit meiner Kleinen im Wald spazieren gehen kann und das Leben genießen darf. Dank des Stomas habe ich wieder Lebensqualität. Dafür bin ich unendlich dankbar. Ich kann daher jedem Morbus-Crohn-Erkrankten, den es so heftig erwischt hat wie mich, nur raten, die Hoffnung nie aufzugeben, auch wenn der Arzt vorübergehend einen künstlichen Ausgang empfiehlt, um den Darm zu entlasten. Für das Leben!

    Sie haben ein Buch geschrieben. Warum?

    Als meine Frau schwanger geworden ist, habe ich versucht, mein Auto über eBay zu verkaufen. Ich habe bei der Beschreibung ein bisschen mehr geschrieben, als üblich ist. Daraufhin hat der Stern getitelt: „Die längste und geilste eBay-Anzeige der Welt“, und es begann ein kleiner Hype. Ich habe einige Interviews geführt und war in diversen Talkshows.

    Meine Krankheit habe ich nie verheimlicht. Dann kam ein Verlag auf mich zu und fragte, ob ich Lust hätte, mein Leben zu erzählen. Das tat ich dann auch. Meine Intention war und ist, anderen Menschen, die mein Schicksal teilen, zu helfen – wenn auch nur mit Worten.

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