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    „Je leichter ich wurde, umso leichter wurde auch alles andere“

    Herr Mierendorf, Sie haben sich in den letzten Jahren „halbiert“. Was war passiert? Was war letztendlich der Auslöser für diese radikale Veränderung?

    Na ja, halbiert ist nur bedingt richtig. An Kilos habe ich etwa 40 Prozent verloren; den Körperfettanteil, der die deutlich wichtigere Größe ist, habe ich gedrittelt. Der Auslöser dafür war zum einen die Geburt meiner Tochter – plötzlich gab es einen Menschen, für den ich echte Verantwortung hatte –,  zum anderen der Tod meines lieben Kollegen Dirk Bach. Beides war 2012 und brachte zumindest im Kopf einen Startschuss. Es dauerte aber noch zwei Jahre, bis ich 2014 endlich loslegte – nachdem mir ein Onlinetest eine Lebenserwartung von noch zwei Jahren vorausgesagt hatte.

    Welchen Einfluss hat die Diagnose Diabetes Typ II gespielt?

    Die Diagnose selbst hatte leider gar keine Auswirkungen auf mein Verhalten, eher im Gegenteil: Als der Arzt meinte, das Wichtigste sei, dass ich meine Lebensqualität nicht verliere, war das für mich gleichlautend mit „Machen Sie weiter wie bisher“. Und das habe ich dann gemacht, nach dem Motto „Eine Pille morgens, eine abends, noch was gegen den Bluthochdruck – und alles regelt sich von selbst“. Erschreckend und aus heutiger Sicht ein Suizid auf Raten.

    Wie ging es nach der Entscheidung, „was zu tun“, dann weiter? Hatten Sie gleich einen Masterplan? Haben Sie Unterstützung gesucht?

    Ich wollte professionelle psychologische Unterstützung, aber die Wartelisten waren zu lang – ein Jahr warten wollte ich nicht. Also habe ich mich mehrfach jeweils über Stunden auf eine Parkbank gesetzt und über mich und mein Leben nachgedacht. Ich wusste ja alles über Ernährung und Sport – mir war klar, dass es eine Kopfsache sein muss. Ich habe mir dann ein Ärzteteam zusammengestellt, mir einen Trainer gesucht, einen Zuckerentzug gemacht – der weiß Gott nicht leicht war – und meine Ernährung komplett auf „gesund“ umgestellt. Vor allem aber habe ich Verantwortung übernommen für mich, mein Leben, mein Verhalten, meine Tochter, meine Familie. Ich wusste, dass es eine lebenslange Aufgabe ist, keine Diät, die ich nur ein paar Wochen durchhalten muss, um dann wie früher weiterzumachen. Das ist den meisten Menschen leider nicht klar.

    Wenden Sie heute ein bestimmtes Ernährungskonzept an?

    Ich esse fast nichts Verarbeitetes und achte ein bisschen auf die Kalorien. Ich ernähre mich abwechslungsreich und höre auf meinen Körper. Lohnt sich ein Schokoriegel? Wie viel Sport müsste ich dafür treiben? Ich mache leidenschaftlich gern und täglich Sport; ich bin froh, dass mein Körper das mittlerweile einfordert. Ich muss auf nichts verzichten, weil ich eh Appetit auf das Richtige habe.

    Wie sind Sie mit der Veränderung, vielleicht auch mit Rückschlägen umgegangen? Wollten Sie oft hinschmeißen?

    Hinschmeißen kam für mich nicht infrage. Die Alternative wäre der Tod gewesen, das wäre meiner Tochter sicher nur schwer zu vermitteln, dass Papa sich gegen sie und für Schokolade entschieden hätte. Nein, Aufgeben war nie eine Option. Natürlich gab es auch mal Rückschläge, die waren aber schnell wieder ausgeglichen. Nach dem Zuckerentzug, der etwa zweieinhalb Wochen gedauert hat, wurde nicht nur ich, sondern auch alles andere immer leichter.

    Was hat sich noch verändert?

    Viele Veränderungen wurden mir erst rückblickend bewusst. Jahrzehntelang gehörten zum Beispiel Schmerzen im Rücken oder beim Treppensteigen in den Knien für mich ganz selbstverständlich dazu. Erst später nach meinem Gewichtsverlust habe ich gemerkt, dass sie verschwunden sind. Ich schlafe besser, bin wacher, fitter, ausgeglichener, stressresistenter, aktiver, kann mir Dinge besser merken, bin lebensfroher, bin meinen Diabetes quasi losgeworden, nehme gar keine Medikamente mehr und habe ein metabolisches Alter von 30 Jahren. Ich habe neue Interessen, weil ich allein körperlich mehr kann, ich kaufe jetzt gern Klamotten und werde nicht mehr als „Fettsack“, sondern wie jeder andere Mensch nur noch als „Arsch“ beschimpft (lacht).

    Was möchten Sie anderen Menschen, die auf die eine oder andere Weise gesundheitlich vorsorgen sollten, unbedingt mit auf den Weg geben?

    Gesundheit ist das wichtigste Gut des Lebens! Übernehmt Verantwortung für euch selbst. Sucht nicht nach Argumenten, Dinge nicht zu tun. Wenn ihr wollt, dass was passiert, müsst ihr es selbst machen. Keiner kann für euch Kalorien reduzieren oder Sport treiben. Seid euch im Klaren darüber, welche Funktion das Übergewicht in eurem Leben hat und warum ihr dick seid. Werdet euch bewusst, dass es eine lebenslange Aufgabe ist und es nicht darum geht, nur ein paar Wochen etwas durchzuhalten.

    Schlank sein bedeutet nicht automatisch glücklich sein. Nicht alles wird rosarot, nur weil man schlank ist, aber das meiste wird wirklich leichter. Und wenn ich es schaffe, nach fast 40 Jahren Fettleibigkeit 70 Kilo abzunehmen, schaffen Sie es auch, Ihr Ziel zu erreichen! Ich habe viele Zuschriften von Leuten bekommen, die meine Veränderung in den Medien mitbekommen haben und Hilfe suchten.

    Ich kann natürlich nicht jedem Einzelnen persönlich helfen, auch wenn ich es gern würde. Darum habe ich mein Buch „Halbfettzeit“ geschrieben, das am 27. August erschienen ist. Zum anderen bin ich Speaker bei der E.A.T. Akademie geworden und halte in Unternehmen und Instituten Vorträge zu den Themen Gesundheit, Lebensveränderung und Eigenverantwortung. Das ist eine sehr erfüllende Aufgabe, die ich mit Leidenschaft verfolge. Ich möchte die Menschen erreichen, und die unzähligen emotionalen Reaktionen, die ich erhalte, bewegen mich sehr.

    Was ist schwieriger, die Einstellung oder die Anstrengung? Der Kopf oder der Körper?

    Das geht Hand in Hand, aber am Anfang steht immer der Kopf. Man kann sich natürlich voller Aktionismus in eine Diät stürzen und Stein und Bein schwören, endlich abzunehmen, und wie besessen Sport treiben. Wenn man aber nicht an die Wurzeln seines Problems herankommt, wird man früher oder später frustriert scheitern und künftig keinen Sinn mehr darin sehen, etwas für die Gesundheit zu tun. Also lieber alles mit Bedacht und vernünftig dosiert angehen! Es dauert wie gesagt lebenslang. Die Anstrengung empfinde ich nicht mehr als etwas Schlechtes, weil ich die Mission vor Augen habe. Es ist schön, fit und gesund zu sein. Ich will fit ins Grab!

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