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    Tabuthema Tod: Selbstbestimmt leben bis in den Tod

    Foto: Glebstock via Shutterstock

    Im Interview teilt Dr. Matthias Thöns seine Erfahrungen als Palliativmediziner und appelliert an den Ausbau der Palliativmedizin für einen würdevollen Tod.

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    Matthias Thöns

    Palliativarzt

    Obwohl der Tod zum Leben dazugehört, spricht man nicht gern darüber. War das schon immer so oder hat es sich Ihrer Meinung nach im Laufe der Zeit geändert?

    Früher gehörte der Tod in die Familien, man starb zu Hause, der Tote wurde über Tage daheim aufgebahrt, es galt als wichtig, sich auf einen guten Tod vorzubereiten. Dies änderte sich im letzten Jahrhundert insbesondere durch das Krankenhauswesen. Nun wurde der Tod zunehmend in die Kliniken verschoben, man starb einsam, teils abgeschoben, in nicht benutzten Badezimmern oder sonstigen Nebenräumen.

    Und trotz aller Bemühungen der Palliativmedizin hat sich das Sterben in den Kliniken nach einer großen Sterbestudie in den letzten Jahrzehnten nicht wesentlich verbessert. Im Gegenteil, durch Fehlanreize ist es heute besonders lukrativ, bei schlimmen Diagnosen große Eingriffe durchzuführen. Da sind Sterbende leichte Opfer, niemand fragt letztlich, ob die Eingriffe dem Sterbenskranken noch nutzen beziehungsweise ob sie ihn belasten.

    Ein Sterbender ist eben ein „Patient ohne Verfügung“ – so auch der Name meines diesbezüglichen aktuellen Bestsellers. Und Eingriffe, Apparatemedizin oder Krebsbehandlung am Lebensende sind zumeist leidvoll, lukrativ und verkürzen sogar teils das Leben.

    Welche Rolle spielen Patientenverfügungen heute?

    Patientenverfügungen spielen eine sehr zentrale Rolle, denn fast alle Menschen können auf der letzten Wegstrecke nicht mehr selbst entscheiden. Mit einer Patientenverfügung kann man vorher festlegen, was gemacht werden soll oder, noch viel wichtiger, was eben nicht. Es ist leider so, dass bei den meisten Patienten stets maximale Apparatemedizin läuft, wenn keine Patientenverfügung vorhanden ist.

    Der natürliche Tod ist bei uns selten geworden.

    Und eigentlich will das keiner für sich selbst, auch Ärzte nicht, wenn sie Patienten werden. Die sterben seltener in Operationssälen oder auf der Intensivstation und häufiger zu Hause oder im Hospiz. Leider hat der Bundesgerichtshof im Juli ein Urteil gesprochen, mit dem die meisten Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten wertlos sind. Hier sollte man sich aktuell informieren und ein aktuelles Vorsorgeformular verwenden.

    Wie läuft das Sterben ab, wenn man keine medizinischen Geräte zur Lebenserhaltung einsetzt?

    Der natürliche Tod ist bei uns selten geworden, dabei haben wir alle körpereigene Leidenslinderungsmechanismen, die dafür sorgen, dass Sterben ohne Apparatemedizin in den meisten Fällen beschwerdearm verläuft: Am Lebensende haben wir zunehmendes Desinteresse an Essen und Trinken. Essen wir nicht ausreichend, stellt sich der Stoffwechsel um, das Hungergefühl versiegt.

    In den Tagen vor dem Tod werden Sie so manche Kämpfe verlieren

    Das Phänomen kennen viele von der Diät, anfangs ist es schwierig, nach einigen Tagen geht es einfach. Als Nächstes verlieren wir das Interesse am Trinken, dies führt dazu, dass die Nieren nicht mehr arbeiten. Der Fachmann spricht von Nierenversagen, dies geht mit der Ausschüttung von Glückshormonen, sogenannten Endorphinen, einher – wir werden zunehmend müde. Und zuletzt arbeiten Lunge und Herz nicht mehr richtig, wir nehmen zu wenig Sauerstoff auf.

    Dies führt zu Glückshalluzinationen, in denen wir letztlich versterben. Und nun kommt die moderne Medizin, ernährt künstlich, gibt Infusionen und am Schluss kommen dann noch Sauerstoff und Beatmung. Das untergräbt die natürliche Leidenslinderung. Der bekannte Palliativarzt Professor Borasio hat das richtigerweise als „den letzten ärztlichen Kunstfehler“ bezeichnet.

    Im Hinblick darauf: Muss der Tod noch ein Tabuthema bleiben?

    Bloß nicht, denn sonst kommt es zur „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“. Man hat Angst vor einem würdelosen Tod und stirbt genau deshalb unter Einsatz der Maximalmedizin an piepsenden Monitoren. Denn keiner sagt den Ärzten, dass Sie gerade dies nicht gewünscht hätten.

    In den Tagen vor dem Tod werden Sie so manche Kämpfe verlieren: erst den Kampf um Ihre Sinne mit der schlimmen Folge der Fixierung am Bett, dann den Kampf um die Niere mit der Folge der Dialysebehandlung, um die Lunge mit der Folge schmerzhafter Beatmung und stündlichem quälendem Absaugen und zuletzt um das Herz-Kreislauf-System mit der Folge der Wiederbelebung mit Rippen- und Brustbeinbruch und Elektroschockbehandlung.

    Letztere ist so schmerzhaft, dass außerhalb von Notsituationen niemand auf die Idee käme, jemandem diese Behandlung ohne Vollnarkose anzutun. Aber dann endlich ist es vorbei. Für Sie, für Ihr Wohlbefinden kämpft schon lange keiner mehr. Sie hatten Angst davor – und deshalb kommt es
    leider genau so.

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