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    Wie eine Zahnspange, nur für den Rücken

    Natalia erinnert sich: Linoleumböden. Grelles Licht. Schnelle Schritte, weiße Kittel. Raschelndes Umblättern von Magazinseiten. Wartet man immer so lange im Krankenhaus? Dann endlich der Aufruf. Von nun an sollte sich alles ändern.

    Sommer 2005. Als ich vor einer Woche noch am Strand bei 32 Grad in Südfrankreich umhersprang, ahnte ich noch nichts von meinem bevorstehenden Schicksal. Mit meinen sieben Jahren war ich in der zweiten Klasse, gesund und vielseitig sportlich aktiv. Was ich noch nicht sehen konnte, war die für mich bis dahin noch unsichtbare Verkrümmung meiner Wirbelsäule. Erst die Röntgenbilder und die sich in meinen Kopf einbrennenden Worte des grau gelockten Arztes mit der dunklen Hornbrille belegten das, was meine Mutter mir schon prophezeit hatte: Ich musste die nächsten Jahre rund um die Uhr ein Korsett aus Hartplastik tragen, das mein von der Norm abweichendes Rückgrat richten sollte. Mir fiel es schwer, dies einzusehen, wo ich doch keine Schmerzen hatte und anderen Kindern meines Alters gleichen wollte.

    So kam es auch dazu, dass ich mein Korsett vor meinen Klassenkameraden und selbst meinen Freundinnen geheim hielt. Ich stand nicht gern im Mittelpunkt und vermied es aufzufallen. An den heißesten Sommertagen lief ich mit dicken Strickjacken umher und wich sämtlichen Umarmungen aus.

    Meine schlimmste Befürchtung wurde leider eines Tages zur Realität, als mich in der Pause eine Horde Jungs bloßstellte und mir mit vereinten Kräften mein Hemd hochriss. Mit Tränen in den Augen, umringt von durchdringenden Blicken, fasste ich innerlich den Entschluss, den Käfig aus Plastik und damit die Quelle meiner Selbstzweifel in Zukunft lieber in den Kleiderschrank zu sperren. Die anfänglichen Fortschritte meiner Therapie litten stark unter meiner nachlassenden Motivation, mit der es erst wieder bergauf ging, als ich mich zunehmend über das Internet mit der Thematik auseinandersetzte und mich durch die wenig vorhandenen YouTube-Videos von jungen Korsettträgerinnen klickte.

    Zu wissen, dass es andere Betroffene gab, die dasselbe durchstanden wie ich und mittels konsequenten Tragens beachtliche Ergebnisse erzielten, gab mir Aufschwung. Als ich schließlich auf einen Skoliose-Blog stieß, auf dem ein aus Berlin stammendes Mädchen meines Alters ihr Leben mit dem Korsett tagebuchartig dokumentierte, begann sich mir ein neues Kapitel zu öffnen.

    Frühling 2011. Auch Hannah erinnert sich noch ganz genau: „Wie eine Zahnspange, nur für den Rücken“, versuchte mir die Ärztin mit aufmunterndem Nicken zu versichern. „Das haben auch schon viele Mädchen vor dir geschafft.“ Ein Anruf war getätigt, und am nächsten Morgen sollte ich bereits für meine Orthese vermessen werden. Einige Wochen zuvor hatte ich die Diagnose gestellt und nur etwas Physiotherapie verschrieben bekommen. Nachdem wir uns jedoch eine medizinische Zweitmeinung für die Behandlung meiner Skoliose eingeholt hatten, ging alles auf einmal ganz schnell und befand sich im Notzustand. Im folgenden Sommer wurde ich zur Gewöhnung ans Korsett für einige Tage stationär ins Krankenhaus aufgenommen und sollte meine Tragezeit täglich um mehrere Stunden steigern. Auch im eigenen Bett lag ich nachts oft wach und konnte mir nicht vorstellen, jemals die unangenehmen Druckpolster auszublenden, die mich in alle möglichen Richtungen schoben und drehten. Draußen herrschten Höchsttemperaturen, die meisten meiner Freunde waren verreist, und so verbrachte ich den Großteil meiner Ferien zu Hause und beschloss, einen Blog zu erstellen, auf dem ich den Verlauf meiner Therapie teilte. Dies half mir dabei, das Erlebte zu verarbeiten und täglich Motivation aufzubringen, mein Korsett mehr zu tragen. Nach und nach erreichte mein Blog die Menschen in meinem Umfeld, die glücklicherweise sehr verständnisvoll und ermutigend darauf reagierten. Aber auch „Gleichgesinnte“ fanden den Weg zu meinem Online-Tagebuch.

    Ungefähr ein Jahr nach der Feststellung meiner Erkrankung lernte ich Natalia kennen – ebenso 14 Jahre alt, aus der Nähe von Berlin. Wir schrieben fast täglich miteinander und verabredeten uns schließlich zu einem Treffen. Es dauerte nicht lange, bis wir unzertrennlich wurden, zu jedem Arzttermin nur noch gemeinsam erschienen und schließlich den Versuch eines gemeinsamen YouTube-Kanals namens „Die KorsiSisters“ starteten. Zunächst mit Webcam und kaum hörbarem Ton wollten wir der Welt zeigen, dass aus unserem geteilten Leid eine wunderbare Freundschaft entstanden war, sowie anderen Menschen mit ähnlichem Schicksal Rat und Beistand leisten. Damals hätten wir nie gedacht, dass wir eines Tages auf Skoliose-Konferenzen neben renommierten Ärzten sprechen, an Kampagnen teilhaben, auf (Titel-)Seiten von Magazinen und Broschüren erscheinen sowie eigene Rubriken darin füllen würden.

    In Berlin leiteten wir lange Zeit eine Selbsthilfegruppe, starteten mehrere Projekte und riefen zu mehr Bewusstsein für Skoliose auf. Unsere YouTube-Community zählt heute über 4.300 Menschen aus aller Welt und lässt uns staunend zurückschauen, was sich in den letzten sieben Jahren unserer Freundschaft alles für Türen geöffnet haben – Leidenschaft, Kreativität und unerschütterlicher Optimismus trugen uns auch durch schwierige Zeiten, in denen wir lernten, das Positive in all den Herausforderungen zu sehen, die sich einem manchmal im Leben entgegenstellen. Gerade in dunklen Tälern ist es wichtig zu erkennen, dass gemeinsam alles viel leichter zu schaffen ist, als sich allein durchzukämpfen.

    Von links: Natalia Lenschow und Hannah Wiesner

    Heute leben wir beide größtenteils schmerzfrei und sind seit ungefähr drei Jahren korsettlos unterwegs. Bei langem Stehen oder Laufen treten gelegentlich Beschwerden auf, die wir mittels bauch- und rückenstärkender Übungen vermindern. Rückblickend hat uns neben der Korsetttherapie und muskulaturaufbauenden Einheiten auch die Physiotherapie nach Katharina Schroth zur Aufrichtung und Kräftigung verholfen. Auch eine mehrwöchige Rehabilitation in einer auf Schroth spezialisierten Klinik, wie Bad Sobernheim, können wir allen Betroffenen, egal welcher Altersgruppe, ans Herz legen. Diese ermöglicht einem, neben körperlicher Stärkung in Kontakt mit „Leidensgenossen“ seines Alters zu kommen.

    Auch die Frage nach einer Operation tritt häufiger auf. Uns beiden wurde dies glücklicherweise nie als Option dargelegt. Wir denken, dass es sinnvoll ist, zunächst alle konservativen Therapiemaßnahmen auszuschöpfen, bevor man sich auf eine lebenslange Versteifung „festschraubt“.

    Generell gilt, je früher die Skoliose erkannt wird, desto höher sind die Erfolgschancen im Therapieverlauf, da nur bis zum Wachstumsende eine gravierende Veränderung zu erwarten ist.

    Daher sollten die Eltern bei ihrem Kind regelmäßig auf folgende Symptome achten:

    • asymmetrisch hohe Schultern
    • einseitig herausstehendes Schulterblatt
    • schiefes Becken
    • beim Vorbeugen („Adamstest“) sichtbare Erhöhung auf einer Seite des Brustkorbes
    • eventuell starke Rückenschmerzen etc.

    Gutes Gelingen und eine schmerzfreie Zukunft wünschen
    Natalia Lenschow und Hannah Wiesner

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