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    „Es gibt für uns ein Leben vor und nach der Krankheit“

    Foto: BlurryMe via shutterstock

    In nur wenigen Wochen veränderte die genetisch vererbbare Augenkrankheit Lebersch-Hereditäre-Optikus-Neuropathie (LHON) das Leben der Familie Findeisen von Grund auf. Denn innerhalb kürzester Zeit führt LHON zu schwerem Sehverlust und Erblindung. Ein Gespräch mit dem Patienten Moritz und seiner Mutter Sandra Findeisen über den Schock nach der Diagnose, den langen Weg der mentalen Verarbeitung und eine helfende Therapie.

    Moritz, wie alt bist du gewesen, als du gemerkt hast, dass sich dein Sehvermögen verändert, und was waren die ersten Anzeichen?

    Ich war etwa zwölf Jahre alt, und das erste Anzeichen war, dass ich nach den Herbstferien die Tafel nicht mehr erkennen konnte.

    Wann hat Ihnen Ihr Sohn gesagt, dass er nicht mehr gut sehen kann?

    Wir wanderten im Oktober 2012 im Kleinwalsertal. Da sagte Moritz, dass er die Berge nicht so gut erkenne. Auch in der ersten Schulwoche sah er die Tafel nicht richtig. Ich nahm das nicht ernst, schickte ihn aber zu einem befreundeten Optiker. Der verwies uns umgehend an einen Augenarzt. Da wurde ich bereits hellhörig. Denn wir haben die genetische Veranlagung für LHON in der Familie. Wir gingen zum Augenarzt, in eine Augenklinik, man schloss mit einem MRT einen möglichen Hirntumor aus und bestätigte uns dann final in einem Klinikum in Tübingen die Krankheit.

    Wie lange dauerte diese Diagnose von den ersten Symptomen bis hin zur Gewissheit LHON?

    Unser Glück im Unglück war, dass wir wegen meiner familiären Disposition eine relativ schnelle Diagnose erhielten. Ich höre von anderen Patienten schlimme Horrorgeschichten. Ihnen wird zum Teil erzählt, sie würden eine Krankheit simulieren. Oder sie erhalten eine Kortisontherapie, die bei LHON überhaupt nichts bringt. Aber dennoch schickte man auch uns nach Hause mit der Botschaft, gegen die Erkrankung könne die Medizin nichts bewirken. Ich forschte selbst und fand Prof. Dr. Thomas Klopstock am Friedrich-Baur-Institut der Universität München. Relativ schnell konnte Moritz dort Ende 2012 an einer Studie teilnehmen.

    Moritz, wie hat sich dein Alltag durch deine Erkrankung verändert und was war für dich persönlich die größte Herausforderung?

    An die meisten Veränderungen kann ich mich ehrlich gesagt nicht mehr erinnern. Allen voran habe ich viel von meiner Selbstständigkeit verloren, die ich mittlerweile aber zum größten Teil wieder habe. Die größte Herausforderung war aber die Schule.

    Wie haben Sie Ihren Sohn während dieser zurückliegenden Zeit erlebt?

    Es gibt für uns ein Leben vor und nach der Krankheit. Ich wusste gar nicht, dass man so viel weinen kann. Bei uns als Eltern hat das natürlich ungeahnte Kräfte geweckt. Moritz reagierte erst ruhig und introvertiert. Er wollte an sein altes Leben anknüpfen, merkte aber im Wechselbad der Gefühle, dass er zum Beispiel mit seiner Modelleisenbahn nicht mehr spielen konnte. Nach ersten Verbesserungen durch die Therapie war er dann ein anderer Mensch und es ging aufwärts.

    Wir wirkte die Therapie?

    Trotz des Medikaments verschlechterte sich die Situation leider erst mal. Moritz konnte im Februar 2013 so gut wie nichts mehr sehen. Nicht einmal mehr die Hand vor Augen. Erst nach einem Jahr mit dem Medikament stellten wir Verbesserungen fest. In dieser Situation ist man für jedes Prozent mehr Sehleistung dankbar. Moritz läuft heute ohne Blindenstock. Er kann so viel sehen, dass er sich selbst orientiert. Auf dem PC-Monitor oder Smartphone vergrößert er sich Informationen relativ gut.

    Neben den körperlichen Beschwerden leiden viele Betroffene unter einer beruflichen Einschränkung. Was veränderte sich bei Moritz an der Schule?

    Vor LHON besuchte er eine Realschule. Auf der Blindenschule fühlte er sich dann überhaupt nicht wohl. Ihm fehlte die Normalität. Er sagte immer: „Ich bin nicht blind“. Und er wollte sein Abitur machen. Der schwerste Kampf war tatsächlich, ihn von der Sonderschule auf eine Regelschule zu bekommen. Denn Sonderschulen verlieren mit jedem Schüler auch einen Finanzträger. Ich war irgendwann so weit, rechtlich zu klagen. Auch auf einigen Gymnasien in Esslingen waren Lehrer skeptisch, einen blinden Realschüler aufzunehmen, was ich sogar verstehen kann. In Bad Cannstatt sind wir aber fündig geworden und sind sehr dankbar, wie aufgeschlossen das Lehrerkollegium Moritz aufgenommen hat.

    Moritz, du bist nun 18 Jahre alt und stehst kurz davor, dein Abitur zu absolvieren. Was sind deine weiteren Pläne?

    Zuerst ist der Plan, das Abitur zu schaffen, was wohl kein großes Problem darstellen wird. Es ist schon seit längerer Zeit mein Plan, Jura zu studieren, und diesen werde ich auch in Zukunft weiterverfolgen.

    Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihres Sohnes?

    Dass er seine positive Einstellung behält. Auch bei Rückschlägen, die kommen werden. Irgendwann gibt es die Zeit, in der wir oder der sonderpädagogische Dienst ihn nicht mehr so engmaschig begleiten. Es wäre schön, wenn er seinen feinen Humor behält, weiter Witze über sich selbst machen kann. Wir haben die Hoffnung, dass die Forschung mit Therapien weiter voranschreitet.

    Was raten Sie anderen Betroffenen in einer solchen Situation?

    Immer positiv nach vorne blicken. Eltern können die Erkrankung meist schwerer verarbeiten. Aus der Erfahrung weiß ich, dass vor allem Kinder und Jugendliche gut mit der Erkrankung klarkommen. Allein durch moderne Medien ist die Vernetzung eine gute Unterstützung.

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