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    Migräneprophylaxe

    Foto: Mary Long via Shutterstock

    Interview mit Dr. med. Charly Gaul über neue Möglichkeiten bei der Migräneprophylaxe.

    Priv.-Doz. Dr. med. Charly Gaul

    Generalsekretär der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft, Migräne- und Kopfschmerzklinik Königstein

    Was macht Migräne zu einer komplexen neurologischen Erkrankung?

    Bei der Migräne besteht eine genetische Disposition. Mehr als die Hälfte aller von Migräne Betroffenen kennt weitere Betroffene in der Familie. Auf Basis dieser genetischen Disposition kommt es bei Migränepatienten zu einer veränderten Reizverarbeitung im Gehirn, ihre Gewöhnung an wiederkehrende Reize ist gestört. Vereinfacht ausgedrückt, ein tickender Wecker stört einen Migränepatienten länger als einen Menschen ohne Migräne. Dies geht mit einer erhöhten Aufmerksamkeit und einem erhöhten Energiebedarf einher. Übersteigen solche Reize die individuelle Migräneschwelle, kommt es zum Anfall. Dabei sind die Hirnregionen Hypothalamus, Hirnstamm und Kortex sowie die Hirnhäute beteiligt. 

    Was passiert dann genau?

    Es werden unterschiedliche Botenstoffe, wie Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP), ausgeschüttet und eine Kaskade von Prozessen wird in Gang gesetzt. Hinzu kommt, dass bei etwa 15 Prozent der Betroffenen eine Aura vorliegt. Unter einer Aura versteht man neurologische Reiz- oder Ausfallsymptome (Flimmerskotom, Gesichtsfelddefekt, aufsteigendes Kribbeln am Arm oder im Gesicht, Wortfindungsstörung), die häufig etwa eine halbe Stunde andauern und den Kopfschmerzen meist kurz vorausgehen. Migräne besteht jedoch nicht nur aus den Kopfschmerzen, hinzu kommen Licht- und Geräuschempfindlichkeit, Übelkeit, manchmal auch Erbrechen und Geruchsempfindlichkeit. Die Kopfschmerzen nehmen bei körperlicher Aktivität zu, es besteht ein Rückzugsbedürfnis. 

    Welche Behandlung kommt infrage?

    Bei der Behandlung müssen die Akutbehandlung sowie die Prophylaxe unterschieden werden. Ziel der Akutbehandlung ist es, die Migräneattacke rasch zu beenden und die Begleitsymptome abzumildern oder zu beseitigen.

    Wo setzen die neuesten Therapien an, und welche Rolle spielt dabei Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP)?

    Im Migräneanfall wird CGRP aus den Nervenendigungen des trigeminalen Systems und dem Hirnstamm im Kerngebiet des Trigeminus ausgeschüttet. Bereits ein Teil der verfügbaren Akuttherapien, wie Ergotamin und Triptane, hemmen die Ausschüttung von CGRP. Nun wurden monoklonale Antikörper entwickelt, die sich gegen CGRP direkt richten oder gegen den CGRP-Rezeptor. 

    Was sind die Vorteile?

    Man verspricht sich davon einen gezielteren Einsatz der Prophylaxe mit weniger Nebenwirkungen. In den meisten klinischen Studien, die vor Markteinführung der monoklonalen Antikörper gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor durchgeführt wurden, lag die Abbruchrate der Patienten in den Studien bei unter 5 Prozent. Vergleicht man das mit Abbruchraten um 20 Prozent, zum Beispiel beim Einsatz von Topiramat, stellen die Antikörper einen erheblichen Fortschritt in Bezug auf die Verträglichkeit dar. 

    Für wen sind diese neuen prophylaktischen Therapien geeignet?

    Die Zulassung der monoklonalen Antikörper gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor erfolgte für einen Einsatz ab vier Migränetagen pro Monat. Aufgrund der hohen Kosten wurden jedoch vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) Richtlinien aufgestellt, ab denen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten übernehmen. Gefordert wird, dass die Standardprophylaxen (Betablocker, Kalziumantagonisten, trizyklische Antidepressiva, Antikonvulsiva und bei chronischer Migräne auch Botulinumtoxin) bereits erfolglos eingesetzt wurden oder dass diese nicht eingesetzt werden konnten, weil Gegenanzeigen (Kontraindikationen) bestanden oder es zu Nebenwirkungen kam. Die verfügbare Standardmedikation muss also ausgeschöpft werden, bevor ein monoklonaler Antikörper zulasten der Krankenversicherung verordnet werden kann.

    Wie ist der Therapieverlauf? Müsste die Spritze ein Leben lang gegeben werden? Das sind ziemlich hohe Kosten, die bei diesem chronischen Leiden aufgefangen werden müssen.

    Aus den klinischen Studien und dem Einsatz in der täglichen Praxis seit nun über einem Jahr kann man Patienten mit sehr gutem Ansprechen berichten, eine Gruppe von Patienten zeigt jedoch auch gar keine Reaktion auf die Antikörper, die Ursache ist unklar. Empfohlen wird aktuell, wie bei allen anderen Prophylaxen auch, ein Behandlungszyklus über einige Monate. Kommt es dann zum deutlichen Rückgang der Migräne, soll eine Behandlungspause erfolgen, um zu prüfen, ob der weitere Einsatz überhaupt notwendig ist. Wie bei allen neuen Medikamenten, die aufwendig entwickelt wurden und in großen klinischen Studien untersucht wurden, sind die Kosten selbstverständlich höher als bei der etablierten Standardmedikation. Da die Standardmedikation überwiegend aus älteren Medikamenten mit abgelaufenem Patentschutz besteht, ist der Preisunterschied ganz erheblich. Aktuell wurden die Preise der monoklonalen Antikörper jedoch bereits deutlich gesenkt. Bei einer Behandlung sollten Wirksamkeit und Verträglichkeit gegen die Kosten aufgewogen werden. Betrachtet man die Gruppe, für die nach den Vorgaben des GBAs aktuell die Medikation verordnet werden kann, handelt es sich dabei um Medikamente, für die keine wirksamen oder verträglichen Alternativen zur Verfügung stehen. Sind diese Patienten von einer chronischen Migräne betroffen, geht dies mit hohen Ausfallzeiten am Arbeitsplatz, hoher Kopfschmerzlast und in der Regel auch mit hoher psychischer Beeinträchtigung einher, diese Situation rechtfertigt auch den Einsatz von Medikamenten, die mehr Kosten als die bisherige Standardtherapie.

    Haben Sie noch weitere Fragen rund um das Thema Kopfschmerz, Migräne oder Clusterkopfschmerz?

    Die MigräneLiga e.V. arbeitet ehrenamtlich und betreut zahlreiche Selbsthilfegruppen in Deutschland und hat Kontakt zu Selbsthilfegruppen in Österreich.

    Ausschlaggebend für die Gründung 1994 war die große Zahl der Betroffenen mit über acht Millionen Menschen in Deutschland, die Ratlosigkeit vieler Migräne-Kranke, die sich mit ihrem Leiden alleingelassen fühlen und die Tatsache, dass Migräne eine Volkskrankheit ist und als Schwerbehinderung anerkannt wird.

    Die als gemeinnützig anerkannte MigräneLiga steht Betroffenen mit Rat und Tat zur Seite und fördert den Erfahrungsaustausch. Weitere Informationen und Termine finden Sie außerdem auf: migraeneliga.de

    Mehr Informationen gibt es auf folgenden Veranstaltungen (unter Vorbehalt):
    20. April 2020, 19:00 Uhr: Informationsveranstaltung mit Kurzvorträgen
    Wo: in der Aula vom Bildungszentrum der Gesundheitsberufe, Herzog-Friedrich-Straße 6 in Traunstein

    23. April 2020, 19:30 Uhr: Migräne im Fokus
    Wo: Landratsamt, Pettenkofersaal, Eisenkramergasse 11, 82362 Weilheim in Oberbayern

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