Lina ist ein Energiebündel, ihre gute Laune ist vom ersten Moment an ansteckend. Dass sie eine unheilbare Erkrankung hat, sieht man ihr nicht an: Sie hat Multiple Sklerose und ist eine von etwa 250.000 Betroffenen in Deutschland. Wie sie es schafft, trotz MS den Mut nicht zu verlieren und was ihr dabei hilft, ein erfülltes Leben zu führen, erzählt sie uns im Interview.
Liebe Lina, du bist ein richtiger Sonnenschein. Auf den ersten Blick sieht man dir nicht an, dass du Multiple Sklerose hast. Wann hast du gemerkt, dass etwas nicht stimmt?
Ich war 21 und habe zu diesem Zeitpunkt in einer Bar gearbeitet. Eigentlich wollte ich zwei Wochen später nach Ibiza ziehen, die Koffer waren gepackt. Aber eines Tages wachte ich auf und fühlte mich wie vom Laster überfahren. Mit war schwindelig, ich sah ganz verschwommen. Ich ging zum Arzt, der dachte, es sei eine verschleppte Angina. Er schickte mich wieder heim mit der Anweisung, mich auszukurieren. Ich ging dann trotzdem wieder arbeiten, und es ging mir stündlich schlechter. Irgendwann sagte ein guter Freund: „Lina, du läufst, als wärst du betrunken, irgendwas stimmt nicht. Ich fahre dich jetzt zum Arzt.“ Dort bekam ich eine Infusion, aber es wurde nicht besser und ich kam mit Verdacht auf einen Hirntumor ins Krankenhaus. Ich konnte fast nichts mehr sehen, konnte nicht mehr eigenständig laufen und mich kaum noch bewegen. In der Klinik wurde ich untersucht: CT, MRT, das ganze Programm. Die gute Nachricht war, dass ich keinen Hirntumor hatte. Es wurden aber mehrere Läsionen im Gehirn festgestellt, die typisch für eine MS sind. Es wurde dann noch eine Lumbalpunktion gemacht, und etwa eine Woche später, am 4. März 2019, habe ich dort meine Diagnose bekommen. Das war mein erster und bisher schlimmster MS-Schub.
Was ging in dir vor, als du wusstest, dass du MS hast?
Ganz ehrlich? Ich dachte zu diesem Zeitpunkt immer noch, dass ich nach Ibiza ziehen würde. Ich wollte die Diagnose nicht wahrhaben, habe mich auch nicht weiter damit beschäftigen wollen. Ich dachte, ich muss jetzt alles aus dem Leben rausholen, bevor nichts mehr geht. Mein Hausarzt holte mich dann auf den Boden der Tatsachen zurück und sagte: „Liebe Lina, es tut mir leid, aber du wirst weder jetzt noch die kommenden Jahre auf Ibiza arbeiten können.“ Ich verstand damals nicht, dass ich Zeit brauchen würde, um die Diagnose zu verstehen und eine für mich passende Behandlung zu bekommen.
Ich wurde dann in eine MS-Spezialklinik überwiesen, wo ich über Wochen behandelt wurde. Dort knüpfte ich meine ersten MS-Kontakte und lernte meine Freundin Kati kennen. Sie half mir, mit der Diagnose klarzukommen und meine Krankheit anzunehmen, ohne dabei die Lebensfreude zu verlieren. Sie erklärte mir unglaublich viel über die MS und nahm mich an die Hand. Trotzdem war ich noch im Verdrängungsmodus, ging nach dem Klinikaufenthalt feiern ohne Ende. Ich wollte einfach nichts verpassen. MS ist eine Erkrankung mit vielen Gesichtern.
Ich wünsche mir, dass Menschen mit chronischen Erkrankungen wie MS der Alltag erleichtert wird und Barrierefreiheit neu gedacht wird. „Behindert sein“ wird oft noch grob missverstanden, nicht jeder von uns sitzt im Rollstuhl oder hat ein Hilfsmittel. Barrieren gibt es für uns aber trotzdem zur Genüge.
Was sind für dich die größten Herausforderungen im Umgang mit der Erkrankung und wie sieht dein Leben unter Therapie aus?
Ich hatte in den ersten zwei, drei Jahren sieben Schübe, dann wurde ich durch eine Anpassung der Therapie schubtechnisch stabil. Alle Schübe äußerten sich unterschiedlich, aber es waren immer meine Füße und Beine mitbetroffen. Die ständigen neuropathischen Schmerzen in den Beinen sind nach wie vor meine größte Beeinträchtigung. Denn man muss verstehen, dass die Schäden, die durch einen Schub entstehen, oft nicht rückgängig zu machen sind. Langes Stehen oder weite Strecken laufen sind für mich daher nicht mehr möglich.
Seit ein bis zwei Jahren habe ich ab und an leichte Spastiken, auch Zitterparesen kamen hinzu. Ich habe Missempfindungen und Taubheitsgefühle. Auch Gleichgewichtsstörungen beim Laufen können auftreten. Zudem merke ich seit einiger Zeit, dass ich kognitive Probleme bekomme, die auch bei meinen regelmäßigen neuropsychologischen Untersuchungen aufgefallen sind. Ich habe manchmal Schwierigkeiten, mich über längere Zeit zu konzentrieren und brauche schneller Pausen, damit mein Kopf wieder hinterherkommen kann. Natürlich habe ich auch gute Tage, an denen ich mich fühle, als könnte ich Bäume ausreißen. Diese Zeiten genieße ich in vollen Zügen! Es ist aber sehr schwer, seinem Umfeld zu erklären, dass solche Phasen abrupt vorbei sein können und man sich dann wieder so schlecht fühlt, dass gar nichts mehr geht. Vor allem, weil viele der Symptome unsichtbar sind.
Du sprichst besonders über Social Media sehr offen über dein Leben mit MS und scheinst dabei nie die Hoffnung zu verlieren. Wie gelingt dir das, und was hilft dir dabei, deine positive Einstellung beizubehalten?
Einerseits ist das einfach mein Naturell, ich bin ein grundpositiver Mensch. Andererseits steckt auch harte Arbeit dahinter, denn um einen positiven Umgang mit der MS zu finden, muss man sich mit ihr auseinandersetzen. Das hat bei mir lange gedauert, aber inzwischen bin ich selbst zur Expertin meiner MS geworden und weiß, was ich brauche und was mir hilft. Natürlich ist bei mir auch nicht jeden Tag Sonnenschein-Stimmung, und das zeige ich auch ganz offen über Instagram. Ich schaffe dann bewusst auch den negativen Emotionen Raum, denn manchmal überfordert einen alles und man denkt, man kann nicht mehr. Aber gerade auch für solche Zeiten sollte man wissen, dass man psychologische Hilfe in Anspruch nehmen kann und sollte. Man sollte auf keinen Fall unterschätzen, was eine solche Diagnose auch seelisch für einen bedeutet.
Zudem hilft mir persönlich mein Umfeld sehr. Meine Familie, meine Freunde, mein Partner unterstützen mich jederzeit. Fakt ist, dass es nichts bringt, gegen die Erkrankung anzukämpfen. Natürlich würde ich lieber ohne MS leben, aber sie ist nun mal da. Also muss ich einen Weg finden, mit ihr zu leben und sie zu verstehen. Ich möchte nie meine Lebenslust verlieren und will zeigen, dass auch ein Leben mit MS bunt und schön sein kann.
Welche Rolle spielt die Vernetzung mit anderen Betroffenen für dich?
Als ich Weihnachten 2019 mit meinem Blog anfing, gab es noch relativ wenige Leute, die offen mit ihrer Erkrankung umgingen. Es war auch gar nicht der Plan, dass das Ganze so groß wird. Aber es hat sich so entwickelt, und mittlerweile bin ich unglaublich dankbar, dass ich Teil einer großen MS-Community bin, onund offline. Man unterstützt sich gegenseitig, gibt sich Tipps, wird aufgefangen. Man lernt von keinem so gut wie von anderen Betroffenen. Und das Wissen, das ich mir über die letzten Jahre angeeignet habe, möchte ich auch teilen. Ich bin stolz darauf, diese Stimme in der MS-Community zu haben und möchte sie sinnvoll nutzen!
Was wünschst du dir, wenn es um den Umgang mit MS-Betroffenen geht: Sowohl seitens der Medizin als auch der Gesellschaft?
Ich wünsche mir, dass Menschen mit chronischen Erkrankungen wie MS der Alltag erleichtert wird und Barrierefreiheit neu gedacht wird. „Behindert sein“ wird oft noch grob missverstanden, nicht jeder von uns sitzt im Rollstuhl oder hat ein Hilfsmittel. Barrieren gibt es für uns aber trotzdem zur Genüge.
Außerdem würde ich mir sehr wünschen, dass die bürokratischen Hürden für chronisch kranke Menschen nicht so unglaublich komplex wären und man die Möglichkeit hätte, finanziell abgesichert zu leben. Auch Teilzeit-Arbeitsmodelle für Menschen wie uns braucht es dringend, damit wir weiter am Arbeitsleben teilnehmen und uns gleichzeitig um unsere medizinischen Termine kümmern können. Hier ist seitens der Politik noch viel zu tun.
Mehr Infos zu Linas Alltag mit MS auf Instagram!
@lina.mein.leben.mit.ms
Außerdem erscheint zum Welt-MS-Tag, Linas Song „Rise Above“ auf Spotify, Apple Music, YouTube & Co.