„Es ist nur Stress.“ „Das geht vorbei.“ „Sie sehen doch gar nicht krank aus.“ – oder das Gegenteil: Starre Blicke in der U-Bahn, Kommentare zu Hautveränderungen, versteckte Hände aus Scham.
Menschen mit Autoimmunerkrankungen erleben beides: Unsichtbarkeit ihrer Leiden und schmerzhafte Sichtbarkeit ihrer Symptome.
In Deutschland leben Millionen mit Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Rheuma, Neurodermitis, Schuppenflechte oder chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Doch ihr Kampf, ob sichtbar oder unsichtbar, bleibt gesellschaftlich oft unbeachtet.
Das Dilemma: Unsichtbar und doch so sichtbar
Autoimmunerkrankungen entstehen, wenn das Immunsystem körpereigene Strukturen angreift. Die Auswirkungen sind vielfältig: Während manche Betroffene mit chronischen Schmerzen, Erschöpfung oder Darmproblemen kämpfen, die niemand sieht, tragen andere ihre Erkrankung auf der Haut, mit allen sozialen Konsequenzen. Neurodermitis, Psoriasis oder Vitiligo bedeuten nicht nur körperliche Beschwerden, sondern auch den Kampf gegen Blicke, Vorurteile und Ausgrenzung. Und dann gibt es Erkrankungen wie Acne inversa, die an intimsten Stellen auftreten – unsichtbar für die Welt, aber umso belastender durch Tabuisierung und Sprachlosigkeit.
Die vergessene psychische Dimension
Was alle verbindet: die massive psychische Belastung. Die Scham bei CED-Betroffenen, über Stuhlgang oder Inkontinenz zu sprechen. Die Angst vor dem nächsten Schub. Der soziale Rückzug, weil die Haut gerade „schlimm aussieht“. Die Erschöpfung, sich ständig erklären zu müssen.
Depressionen und Angststörungen sind bei Autoimmunerkrankungen keine Seltenheit – sie sind Teil der Erkrankung.
Hinzu kommt: Die Diagnose dauert oft Jahre. Die Versorgung ist fragmentiert. Betroffene irren durch Arztpraxen, fühlen sich allein gelassen – medizinisch wie emotional.
Warum wir mehr Aufmerksamkeit brauchen
Deshalb habe ich 2016 das Netzwerk Autoimmunerkrankter, NIK e.V., gegründet. Als digitaler Lotse verkürzen wir die „Patient Journey“, geben Orientierung und Mut. Wir schaffen einen Raum, in dem Betroffene sich verstanden fühlen, ganz gleich, ob ihre Erkrankung sichtbar ist oder nicht. Durch fundierte Informationen, Expert*innen-Vermittlung, Webinare und persönliche Mut-Mach-Geschichten zeigen wir:
Du bist nicht allein.
Doch es braucht mehr: Gesellschaftliches Bewusstsein. Entstigmatisierung. Anerkennung der körperlichen UND psychischen Belastungen. Bessere Versorgungsstrukturen. Autoimmunerkrankungen gehören ins Licht der Öffentlichkeit – mit all ihren Facetten.
Gemeinsam gegen das Schweigen
Wenn der Körper gegen sich selbst kämpft, dürfen Betroffene nicht zusätzlich gegen Scham, Vorurteile und Unwissenheit kämpfen müssen. Es ist Zeit, hinzuschauen, zuzuhören und zu handeln.

Tanja Renner
Gründerin NIK e.V. – Netzwerk Autoimmunerkrankter
Weitere Informationen finden Sie unter: www.nik-ev.de




