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    Die feucht-„fröhliche“ Weihnachtszeit

    Foto: Warpboyz via Shutterstock

    Ist diese Zeit Auslöser für emotionalen Stress, der wiederum eine Triebfeder für Sucht- erkrankungen sein kann? Die Weihnachtszeit steht vor der Tür. Durch die gesellschaftlichen Konventionen, aber auch durch Werbestrategien wird hier eine Erwartungshaltung an besondere Gefühle wie Harmonie, Frieden, warmherzige Liebe und andauernde Freude geschürt, gleichgültig ob diese Gefühle zur eigenen emotionalen Gefühlslage passen oder ob ein gewisses Unvermögen im Umgang mit diesen Gefühlen besteht.

    Andreas Schweikert

    FA Psychiatrie und Psychotherapie, Leitender Arzt der LIFESPRING – Privatklinik Bad Münstereifel

    Stress pur durch Familie und Gefühle – warum?

    Zwischen den Jahren werden wir aus unseren gewohnten Tagesstrukturen herausgerissen. Das kann zwar Erholung bedeuten, leider kann es aber auch zur emotionalen Destabilisierung führen. Denn gleichgültig ob die etablierte Tagesstruktur uns eventuell schadet, nehmen wir Gewohntes doch als „gut“ wahr.

    Wenn man sich daneben nicht fühlt und verhält, wie es von einem erwartet wird, enttäuscht das alle Beteiligten. Dabei wäre dies durchaus vorhersehbar: Denn wie soll man auf Knopfdruck plötzlich umschalten können, wenn man das ganze Jahr über in einen straff getakteten Tagesablauf eingebunden ist und vielen Verpflichtungen gerecht werden muss? Der normale Alltag, der von rational gesteuerter Selbstbeherrschung, permanenter Verfügbarkeit, maschinellem Funktionieren-Müssen und ehrgeiziger Leistungsmotivation geprägt ist, lässt uns familiäres Miteinander verlernen – ebenso wie den Umgang mit dem eigenen Gefühlsleben. Und dann sollen wir genau das zum Jahresende hin plötzlich perfekt können?  

    Kein Wunder, dass man gerade in dieser Situation schnell in den Zustand emotionaler Überforderung gerät oder dass man dann auch dünnhäutig auf schon länger schwelende und aufgestaute Konflikte reagiert, die wie aus dem Nichts aufzubrechen scheinen. Dies ist eine gefährliche Gemengelage, dem Belohnungszentrum im Gehirn mit dem Griff zur psychoaktiven Droge (auch Alkohol) Genüge zu tun. Denn ohne Frage zählt es zu den augenscheinlichen Vorteilen von Suchtstoffen: Sie entspannen, lösen Euphorie aus und lassen Streit und Konflikte schnell vergessen – zumindest fürs Erste. Da dieser „Mechanismus“ nicht nur beim „Weihnachtsstress“, sondern auch übers ganze Jahr hinweg prima funktioniert, wird der Suchtmittelkonsum schnell zum unverzichtbaren Ritual. Häufig ist damit der erste Schritt in die Abhängigkeit getan.

    Wie entsteht eine Sucht, warum ist diese so (über)mächtig?

    Eine Suchterkrankung ist demnach nie ein für sich allein stehendes Krankheitsbild, vielmehr sind psychische Konflikte und/oder andere psychische Erkrankungen ursächlich. Die Sucht ist nur ein neuerliches Stadium der psychischen Missbefindlichkeit. Der jeweils bevorzugte Suchtstoff fungiert dann als probates Hilfsmittel zur scheinbaren Bewältigung. Von Abhängigkeit spricht man laut WHO (World Health Organization) ab dem Zeitpunkt, an dem ein Mensch ein unkontrollierbares Verlangen nach einer bestimmten Substanz oder nach einem bestimmten Verhalten hat. Zum Wesen einer Sucht gehören weiterhin Kontrollverlust, Verheimlichen, Lügen und (Selbst-)Betrug. Die Gewöhnung an das Suchtmittel führt zu einer Dosissteigerung, wodurch der Betroffene die Eigenkon-trolle verliert.

    Was machen, wenn?

    Wenn man nun erkennt, dass die Sucht schädliche Ausmaße annimmt, mündet dies häufig in den Plan zum „kalten“ Entzug. Dieser erhöht aber wissenschaftlich nachweisbar das Rückfallrisiko und kann je nach Substanz, Dosis und Konsumdauer mit möglichen Entzugserscheinungen, Delir, Krampfanfällen, Herz-Kreislauf-Reaktionen und Selbstmordgedanken, lebensgefährlich sein.

    An diesem Punkt heißt es, seine Grenzen zu erkennen und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Zu einer langfristigen Abstinenz gehört nämlich: Ursachen für Suchtstrukturen erkennen, Alternativen entwickeln und diese Alternativen in den heimischen Alltag überführen. Eine enge Vernetzung zwischen stationären und ambulanten Settings in der Nachsorge ist daher unabdingbar. Gelingt dies, kann das sonst sehr hohe Rückfallrisiko deutlich minimiert und der Suchtkranke wieder ein selbstverantwortliches Mitglied der Gesellschaft werden.

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