Noch nie zuvor war die Frage nach Selbstbestimmung im Alter so präsent wie heute. Die Generation der Babyboomer vereint Erfahrung, Pflichtbewusstsein und den Wunsch nach Freiheit – und prägt damit nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch unsere Gesellschaft.
EINERSEITS GENIEßEN VIELE BABY-BOOMER DIE FREIHEIT, ENTSCHEIDUNGEN UNABHÄNGIG ZU TREFFEN. ANDERERSEITS SPÜREN SIE DIE LAST GESELLSCHAFTLICHER ERWARTUNGEN.

Uwe-Matthias Müller
Geschäftsführender Vorstand der Bundesverband Initiative 50Plus
Die Generation der Babyboomer – geboren zwischen 1946 und 1964 – hat Deutschland geprägt wie kaum eine andere. Sie wuchs in einer Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs, sozialer Stabilität und politischer Umbrüche auf. Heute, da viele von ihnen das Rentenalter erreicht haben oder bald erreichen werden, rückt eine Frage in den Fokus: Wie leben sie Selbstbestimmung und Eigenverantwortung – und wie definieren sie diese Begriffe für sich?
Die Babyboomer gelten als pflichtbewusst, leistungsorientiert und gesellschaftlich engagiert. Sie haben das Bildungssystem reformiert, die Arbeitswelt modernisiert und sich für Gleichberechtigung und Umweltschutz eingesetzt. Doch ihr Verhältnis zur Selbstbestimmung ist komplex. Viele von ihnen haben gelernt, sich in bestehende gesellschaftliche Strukturen einzufügen, Verantwortung für Familie und Beruf zu übernehmen – oft auf Kosten individueller Freiheit.
Mit dem Eintritt in den Ruhestand verändert sich dieses Verhältnis. Plötzlich steht nicht mehr die Erwerbsarbeit im Zentrum, sondern die Frage: Was will ich eigentlich? Für viele Babyboomer ist das eine neue Erfahrung. Sie entdecken Reisen, bürgerschaftliches Ehrenamt, politische Teilhabe oder kreative Projekte als Ausdruck ihrer Selbstbestimmung. Gleichzeitig übernehmen sie Verantwortung – für sich selbst, für ihre Gesundheit, für ihre finanzielle Absicherung und zunehmend auch für pflegebedürftige Angehörige oder Enkelkinder.
Diese neue Phase ist geprägt von Ambivalenz. Einerseits genießen viele Babyboomer die Freiheit, Entscheidungen unabhängig zu treffen. Andererseits spüren sie die Last gesellschaftlicher Erwartungen: aktiv bleiben, gesund leben, sich engagieren. Die Selbstbestimmung wird zur Herausforderung, wenn sie mit dem Druck zur Selbstoptimierung kollidiert.
Auch politisch zeigt sich die Generation selbstbewusst. Sie ist wahlentscheidend, gut informiert und oft meinungsstark. Ihre Lebenserfahrung macht sie zu kritischen Beobachtern gesellschaftlicher Entwicklungen – von Digitalisierung über Klimapolitik bis hin zur Rentenfrage. Dabei ist ihre Eigenverantwortung nicht nur individuell, sondern auch kollektiv: Viele Babyboomer sehen sich als Teil einer Generation, die Verantwortung für die Zukunft übernehmen muss. Die Diskussion um Selbstbestimmung und Eigenverantwortung der Babyboomer ist also mehr als eine Altersfrage. Sie berührt zentrale gesellschaftliche Themen: Wie wollen wir leben? Was bedeutet Freiheit im Alter? Und wie gelingt ein würdevoller, selbstbestimmter Lebensabend in einer sich demografisch wandelnden Gesellschaft?
Die Antworten darauf sind so vielfältig wie die Generation 50Plus selbst. Doch eines ist sicher: Die Babyboomer haben nicht aufgehört, Deutschland zu gestalten – nur tun sie es heute auf andere Weise.

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