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    Mit Cannabis gegen Tics?

    Foto: Anan Kaewkhammul via Shutterstock.com

    Wie wäre es, Cannabis als nebenwirkungsarmes, effektives Medikament für seltene Krankheiten wie das Tourette-Syndrom einzusetzen, für die es kaum Alternativen gibt? Frau Prof. Dr. Müller-Vahl von der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie im Zentrum für Seelische Gesundheit der Medizinischen Hochschule Hannover ist Mitglied der Deutschen Tourette-Gesellschaft und berichtet über Erkenntnisse zum Thema medizinisches Cannabis bei Tourette.

    Frau Prof. Dr. Müller-Vahl

    von der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie im Zentrum für Seelische Gesundheitder Medizinischen Hochschule Hannover ist Mitglied der Deutschen Tourette-Gesellschaft

    Frau Prof. Dr. Müller-Vahl, was ist das Tourette-Syndrom? 

    Das Tourette-Syndrom ist eine neurologisch-psychiatrische Erkrankung mit motorischen und vokalen Tics, die in der Regel vor dem 18. Lebensjahr beginnen und mindestens ein Jahr andauern. Unter Tics versteht man unwillkürliche Zuckungen im Kopfbereich und Lautäußerungen wie Räuspern oder Schniefen. Am häufigsten sind Tics im Bereich des Gesichts bzw. der Augen zu beobachten. Es bestehen aber immer auch zusätzlich vokale Tics.

    Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit dem Tourette-Syndrom. Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es? 

    Zunächst ist wichtig zu sagen, dass man das Tourette-Syndrom bis heute nicht heilen kann. Auch sind die etablierten, zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten sehr begrenzt. Das ist die Ausgangssituation und war auch Motivation, nach neuen Behandlungsformen zu suchen. 

    Therapie der ersten Wahl ist eine Verhaltenstherapie. Hier versucht man, die Tics zu mindern, indem man sie entweder unterdrückt oder eine Gegenbewegung einführt. Diese Therapie bringt keine Nebenwirkungen mit sich, sie erreicht aber in der Regel nur eine Reduktion der Tics um ca. 30 Prozent. Hinzu kommt, dass es in Deutschland einen Mangel an entsprechend qualifizierten Therapeut*innen gibt, sodass viele Patienten, die so eine Behandlung wünschen, sie nicht durchführen können. 

    Therapie der zweiten Wahl ist eine medikamentöse Therapie. Hier ist in Deutschland bislang nur ein einziges Medikament zugelassen, Haloperidol. Dies ist ein altes Antipsychotikum, das wir heute nicht mehr empfehlen, weil es starke Nebenwirkungen hat und sich nicht zur Dauermedikation eignet. Auch Offlabel-Medikamente, die bei Tourette zum Einsatz kommen, haben Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Gewichtszunahme oder Unruhe und beeinträchtigen die allgemeine Vitalität. Aus diesem Grund suchen wir nach neuen Behandlungsformen und haben auch mit Cannabis-basierten Medikamenten geforscht.

    Eignen sich Cannabis-basierte Medikamente zur Behandlung des Tourette-Syndrom?

    Ja, anhand der Daten aus unserer Studie sehen wir, dass Cannabis-basierte Medikamente nebenwirkungsarm sind und gute Behandlungserfolge zeigen, auch bei Patienten, bei denen andere Therapien nicht wirken. Die Tics gehen deutlich zurück. 

    In einer ersten, sehr kleinen Studie mit 12 Patient*innen haben wir Probanden einmalig ein THC-Medikament gegeben und das mit einer Vergleichsgruppe, die ein Placebo erhielt, kontrolliert. Wir konnten einen positiven Effekt feststellen und haben dann eine etwas größere Studie durchgeführt, mit 24 Patienten, die das THC-Präparat über einen Zeitraum von sechs Wochen bekamen. Wieder war der Effekt positiv. Vor Kurzem haben wir die erste große Studie durchführen und abschließen können. Wir haben einen speziellen Cannabisextrakt hinsichtlich Sicherheit und Wirksamkeit bei Menschen mit Tourette untersucht, etwa 100 Menschen haben daran teilgenommen. Wir haben einige signifikant positive Ergebnisse gefunden, sodass das Ergebnis positiv zu bewerten ist. 

    Welche Bestandteile von Cannabis haben sich bei diesem Krankheitsbild als wirksam erwiesen?

    Wir gehen davon aus, dass der Hauptaspekt das THC ist. In Kombination mit zusätzlichen Cannabinoiden konnten wir weitere Verbesserungen der Wirkung und Verträglichkeit sehen. Die Wirkstoffe werden bislang überwiegend oral eingenommen. Aber es gibt hier bereits neue Entwicklungen wie Mundsprays oder einen Extrakt zur Inhalation. 

    Wie wirkt sich eine cannabis-basierte Therapie auf das Tourette-Syndrom aus?

    Beim Tourette-Syndrom gibt es eine Störung in den Regelkreisen im Gehirn, mit einer Überaktivität bestimmter Botenstoffe. Man hat hier das Dopamin in Verdacht, es gibt aber auch Hinweise, dass eine Störung im körpereigenen, also im Endocannabinoid-System bestehen könnte. Hier greifen wir mit cannabis-basierten Medikamenten regulierend ein. 

    Wir können beim Einsatz von cannabisbasierten Medikamenten eine Verbesserung der Tics beobachten, aber auch eine Verbesserung von begleitenden psychiatrischen Symptomen wie beispielsweise Depressionen. Insgesamt verbessert sich die Lebensqualität der Betroffenen. 

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