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HIV

„Hoffnung, Aufklärung und Vertrauen in die Medizin – das war immer mein Weg“

Als einer der ersten, die von der revolutionären Dreifachtherapie profitierten, erlebte Florian Winkler-Schwarz den Wandel der HIV-Behandlung hautnah – und engagiert sich heute für eine Gesellschaft ohne Angst und Vorurteile. Im Interview mit uns spricht er über seine Erfahrungen und Hoffnungen.

Lieber Florian, du engagierst dich seit Jahren für die Aufklärung über HIV. Wie lief deine eigene Diagnose ab – und was hat dich dazu bewegt, offen über deine Erkrankung zu sprechen?

Meine Diagnose liegt fast 30 Jahre zurück – eine ganz andere Zeit, was Wissen, Haltung und Behandlung von HIV betrifft. Ich hatte damals das große Glück, dass gerade die sogenannte Dreifachtherapie auf den Markt kam, der wohl wichtigste medizinische Durchbruch in der Geschichte von HIV.

Ich erfuhr von meinem Status bei einem Routine-Test. Als meine Hausärztin mich bat, am frühen Abend noch einmal vorbeizukommen, ahnte ich schon, dass etwas nicht stimmte. Sie teilte mir das Ergebnis unter Tränen mit – ein Zeichen dafür, wie groß selbst in der Medizin damals noch die Verunsicherung und Angst war. Kurz darauf kam ich in eine HIV-Ambulanz in Augsburg, wo ich erfuhr, dass die neue Therapie sehr gute Erfolge zeigte. Von diesem Moment an habe ich mich entschieden, auf Hoffnung und Vertrauen in die Medizin zu setzen – und das hat mich bis heute getragen.

Mittlerweile ist HIV dank moderner Therapien sehr gut behandelbar. Wie sieht dein Alltag heute aus und wie erlebst du die medizinische Betreuung?

Ich erinnere mich noch sehr gut an den Moment, als ich meine erste Tablette nahm – das war eine Mischung aus Erleichterung und Angst vor dem Unbekannten. Ich hatte viel über Nebenwirkungen gelesen, aber tatsächlich keine erlebt. Heute unterscheidet sich mein Alltag nicht von dem eines Menschen ohne HIV.

Ich nehme täglich eine Tablette – so selbstverständlich wie andere ihre Blutdruckmedikamente.

Alternativ gibt es Depotspritzen, die nur monatlich bzw. alle zwei Monate verabreicht werden und ebenfalls von den Krankenkassen vollständig übernommen werden. HIV ist heute in Deutschland eine gut kontrollierbare, chronische Erkrankung – leider gilt das noch nicht weltweit. Die Medikamente sind inzwischen so erprobt, dass sie sicher und wirksam sind.

Ich gehe alle drei Monate zur Kontrolle, und genau diese Regelmäßigkeit sorgt oft sogar für eine bessere allgemeine Gesundheit. Manche Studien zeigen, dass HIV-positive Menschen in Deutschland statistisch länger leben, weil durch die engmaschige Betreuung andere Erkrankungen früh erkannt werden.

Auch der Umgang in der Gesellschaft hat sich verändert – vor allem durch die Einführung der PrEP, also die medikamentöse Vorbeugung gegen HIV. Das hat Ängste abgebaut und zu einem selbstverständlicheren, offenen Umgang geführt. Ich erlebe kaum noch Zurückhaltung oder Vorurteile – das war vor zehn Jahren noch ganz anders.

Die HIV-Forschung macht stetig große Fortschritte. Was wünschst du dir für die Zukunft?

Der große Traum einer vollständigen Heilung ist immer noch da – vielleicht durch eine Impfung oder eine einmalige Behandlung. Aber auch ohne Heilung ist viel erreicht:

HIV-positive Menschen können heute ein langes, gesundes Leben führen.

Dennoch dürfen wir die psychische Dimension nicht unterschätzen. Ich selbst fühle mich stabil und im Reinen mit meiner Erkrankung, aber viele kämpfen mit Scham, Angst und innerem Druck. Das liegt oft an der immer noch vorhandenen Stigmatisierung. Mein Wunsch in dieser Hinsicht ist, dass Aufklärung weiter vorangetrieben wird – damit niemand mehr das Gefühl haben muss, anders oder „gar ansteckend“ zu sein.

Als ich mich damals einer Selbsthilfegruppe in Augsburg anschloss, starben fast jede Woche Menschen, weil ihre Körper schon zu geschwächt waren. Diese Bilder haben sich durch Film und Fernsehen in die Köpfe vieler eingebrannt. Heute ist das anders: Junge Menschen sehen HIV nicht mehr als Todesurteil. Sie wissen, dass man damit leben kann. Besonders wichtig finde ich, dass wir darüber sprechen, dass weltweit mehr Frauen als Männer infiziert sind. In der medizinischen Praxis wird HIV und davon ausgelöste Folgeerkrankungen bei Frauen oft zu spät erkannt – das muss sich dringend ändern.

Trotz Aufklärung gibt es noch Vorurteile gegenüber Menschen mit HIV. Wo siehst du heute den größten Aufklärungsbedarf?

Der schwerste Moment war für mich der Augenblick der Diagnose – als meine Ärztin weinte und ich mich völlig hilflos fühlte. Doch das änderte sich schnell, als ich in eine spezialisierte Klinik kam und mich einer Selbsthilfegruppe anschloss. Dort habe ich verstanden: Ich bin nicht allein.

Heute gibt es zahlreiche Online-Communities, Selbsthilfeangebote und sogenannte Buddy-Projekte, in denen Neu-Diagnostizierte Begleitung und Austausch finden. Das ist enorm wertvoll, denn man merkt schnell, dass HIV kein bestimmendes Thema mehr im Alltag ist.

Meine Botschaft lautet:

Nehmt euch die Zeit, das zu verarbeiten, aber lasst euch nicht von Angst oder Scham leiten. Das Leben geht weiter – und mit der richtigen Behandlung sehr gut.

Florian Winkler-Schwarz

Geschäftsführer des LSVD Verbands Queere Vielfalt Berlin-Brandenburg e. V.

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