Wenn Bauchschmerzen und Schwellungen auf eine seltene Erkrankung hindeuten
Das hereditäre Angioödem (HAE) ist eine seltene vererbbare Erkrankung. Sie kann sich durch Hautschwellungen äußern, die oft mit Allergien verwechselt werden. Durch Schwellungen im Bauchraum kann es zu starken Beschwerden kommen, die häufig als Magen-Darm-Erkrankungen fehlinterpretiert werden. So war es auch bei Valerie Schulze*, die bereits im Kindesalter immer wieder Bauchschmerzen hatte.
Frau Schulze, Sie leben mit der seltenen Erkrankung HAE. Wie lange hat es bei Ihnen gedauert, bis eine gesicherte Diagnose gestellt werden konnte, und wie ging es danach weiter?
Das hat relativ lange gedauert. Die Diagnose wurde 2015 gestellt, als ich 21 Jahre alt war. Die ersten Attacken hatte ich aber schon mit acht oder neun Jahren. Da wurde dann mal die Hand dick oder ich hatte Bauchschmerzen, aber das habe ich damals natürlich nicht mit HAE in Verbindung gebracht. 2013 hatte ich einen Rollerunfall, bei dem ich mir beide Vorderzähne ausgeschlagen habe. Daraufhin ist mein gesamtes Gesicht angeschwollen. Aber auch da kam man noch nicht auf die Diagnose, weil die Ärzte davon ausgingen, dass das mit dem Schock und der Zahn-OP zusammenhing. Während meines Studiums kam es aber immer wieder zu Schwellungen im Gesicht, das hat mich schon beunruhigt. Ich habe dann ganz klassisch einfach mal gegoogelt und habe gelesen, dass es ein Gendefekt sein könnte, der die Schwellungen auslöst. Bei meiner Mutter sind nämlich auch immer wieder solche Schwellungen aufgetreten. Da die Attacken damals aber noch nicht so schwerwiegend waren, haben wir noch keinen akuten Handlungsbedarf gesehen.
2015 war ich dann mit meinen Eltern in Schweden im Urlaub und habe eine Schwellung im Gesicht bekommen. Ich musste am Abreisetag mit komplett geschwollenem Gesicht durch den ganzen Flughafen, das allein war schon sehr unangenehm für mich. Am nächsten Morgen bin ich aufgewacht und habe gemerkt, dass ich keine Luft mehr bekomme. Meine Eltern haben sofort den Notarzt gerufen und ich wurde per Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht. Der Notarzt war zum Glück sehr offen für das, was ich im Internet gelesen hatte. Im Krankenhaus wurde dann direkt mein Blut analysiert, und dort wurde die Diagnose gestellt. Glücklicherweise ist das Zentrum für seltene Erkrankungen des Uniklinikums Ulm bei mir in der Nähe, wo ich seitdem bei einem Spezialisten für HAE in Behandlung bin.
Der maßgebliche Grund für Fehldiagnosen ist ja, dass HAE sich durch Symptome bemerkbar macht, die auch auf andere, häufigere Krankheiten hinweisen können. Zu diesen Symptomen gehören auch immer wieder auftretende Bauchschmerzen. War das bei Ihnen auch der Fall?
Auf jeden Fall. Das fühlt sich dann an, als hätte man einen Stein im Magen. Man kann nichts mehr essen oder trinken, der Kreislauf sackt ab, Erbrechen und Durchfall kommen auch noch dazu. Und natürlich hat man sehr starke, krampfartige Schmerzen. Bei meiner Mutter wurde deswegen eine Gallenkolik diagnostiziert, aber eigentlich steckte HAE hinter ihren Beschwerden.
Die Erkrankung wird – wie schon die Bezeichnung „Hereditäres Angioödem“ (hereditär = erblich) vermuten lässt – vererbt. Wurde nach Ihrer Diagnose eine Familienanamnese durchgeführt, gibt es weitere Betroffene in Ihrer Familie?
Bei meiner Mutter wurde auch direkt die Untersuchung auf HAE durchgeführt und die Diagnose gestellt. Sie wird seitdem auch entsprechend behandelt. Sonst war aber glücklicherweise keiner in meiner Familie betroffen.
Zweifelt man hier manchmal an sich selbst, weil keiner so recht feststellen kann, was einem wirklich fehlt?
Auf jeden Fall. Das war bei mir schon im Kindesalter so, wenn zum Beispiel meine Großeltern dachten, dass ich nicht essen möchte, was sie mir vorsetzen. Oder dass ich einfach nicht in die Schule oder zum Sportunterricht gehen möchte und Bauchschmerzen als Ausrede vorschiebe. Wenn man dann als Kind gar nicht so richtig erklären kann, was nicht mit einem stimmt, ist das schon schlimm. Daher war die Diagnose schon eine Erleichterung, weil ich wusste: Es gibt diese seltene Krankheit, aber man kann sie gut behandeln und ich muss die Beschwerden nicht mehr einfach aushalten.
Mittlerweile sind Sie ja glücklicherweise medikamentös gut eingestellt. Wie sieht Ihr Alltag jetzt aus: Würden Sie sagen, dass Sie ein normales Leben führen können?
Zunächst hat mir die Akuttherapie sehr gut geholfen. Ich habe das Medikament immer bekommen, wenn eine Schwellung aufgetreten ist. Zu der Zeit sind die Schwellungen aber nur ungefähr zweimal im Monat aufgetreten.
Vor einem Jahr hat sich das aber grundsätzlich geändert und ich hatte fast täglich Schwellungsattacken. Ein normales Leben war so eigentlich gar nicht mehr möglich. Ich hatte einen komplett zerstochenen Bauch, weil ich so oft spritzen musste. Außerdem war es eine enorme psychische Belastung, weil ich dachte, dass ich so sicher bald gar nicht mehr arbeiten gehen kann. Ich dachte wirklich, dass ich mit 25 bald berufsunfähig wäre. Das war eine sehr schwere Zeit für mich und ich dachte oft, dass ich das nicht mehr lange aushalte.
Ende 2018 habe ich dann von einer neuen Prophylaxetherapie erfahren, was mir große Hoffnung gegeben hat. Bei einem Treffen mit anderen Patienten konnte ich mit Betroffenen sprechen, die diese Therapie schon bekommen haben. Seit Februar bekomme ich die Prophylaxe jetzt auch und es geht mir wirklich sehr gut damit. Ich habe keine Schwellungen mehr, es ist ein normales Leben möglich. Dass ich mich nur alle zwei Wochen spritzen muss, ist wirklich kein Vergleich zu vorher. Ich kann wieder ganz regulär arbeiten gehen, in den Urlaub fahren und mich mit Freunden treffen. Gerade wenn man mit Freunden unterwegs ist, dann plötzlich eine Schwellung im Bauch bekommt und sich übergeben muss, ist das sehr unangenehm, weil es schwierig ist zu erklären, was da gerade mit mir passiert. Solche Szenarien liegen jetzt zum Glück hinter mir. Die Krankheit ist unberechenbar, aber jetzt muss ich nicht mehr in der ständigen Angst vor der nächsten Attacke leben. *Name von der Redaktion geändert.
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