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    „Ich bin so viel mehr geworden“

    Fotos: David Brosius

    No Colon, still rollin – so heißt Jana auf Instagram. Was das heißt? Dass sie mit einer CED und ohne Dickdarm lebt – und trotzdem nicht aufgibt. Wir sprachen mit ihr über ein Leben mit einer unheilbaren Erkrankung zwischen Kampf und Akzeptanz, über ungebetene Ratschläge und den Mut zur Selbstliebe. 

    Jana Gottert

    Bloggerin, No Colon, still rollin

    Liebe Jana, seit 2015 weißt du, dass du unheilbar krank bist, als du die Diagnose Colitis ulcerosa bekommen hast. Du bist förmlich dem Tod von der Schippe gesprungen. Kannst du uns erzählen, was passiert ist?

    Meine Symptome waren bereits von Anfang an recht schwer: bis zu 30 Stuhlgänge am Tag, nur Blut, keine Kraft mehr, starke rektale Schmerzen, Mangelernährung und Anämien. Trotzdem sagte man mir, eine CED sei zwar unheilbar, aber durchaus gut behandelbar. Für mich galt das leider nie. Viele Therapien wurden ausprobiert, aber 2017 versagte das letzte Medikament. Ich begab mich in stationäre psychotherapeutische Behandlung, aber ich raste körperlich dem Tod entgegen. Ich hatte sieben Wochen nicht gegessen, um meine Symptome im Griff zu behalten. Mein Gastroenterologe sagte, wenn ich mich jetzt nicht operieren lassen würde, würde ich sterben. Also wurde ich kolektomiert, habe mich von meinem Dickdarm verabschiedet und ließ mir einen J-Pouch (eine Verbindung zwischen Anus und Dünndarm) anlegen. Die OP sicherte mir zwar das Überleben, jedoch nicht unbedingt ein „besseres“ Leben. Denn inzwischen habe ich eine chronische Antibiotika-resistente Pouchitis. Die Zukunft wird mir ein endständiges Stoma bringen, vielleicht auch eine Rektumamputation. Es ist keine Frage von „ob“, sondern „wann“. Aber bis dahin versuche ich, mein Leben einfach zu genießen und das Beste draus zu machen. 

    Wie hast du es geschafft, dich nach so einer traumatischen Erfahrung zurück ins Leben zu kämpfen? 

    Ich glaube, gesunde Menschen stellen sich das irgendwie so vor: Der Held einer Geschichte wird ausgeknockt, rappelt sich dann zwei Wochen, zwei Monate lang auf und steigt dann wieder in den Ring und gewinnt. Dem ist nicht so. Ich habe mich nie zurück in mein Leben gekämpft. Die Jana von damals gibt es nicht mehr. Ich war zuvor diese quirlige und aufgeladene Person. Jetzt habe ich oft nicht mal mehr die Kraft, drei Schritte zu gehen. Ich weiß nicht, ob man sich jemals wieder wirklich „zurückkämpft“ oder ob da nicht was Neues entsteht. Denn ich bin definitiv nicht weniger. Ich bin so viel mehr geworden. Empathischer, liebevoller, verständnisvoller und irgendwie auch kraftvoller, zumindest mental. Wenn ihr also wissen wollt, wie ich diesen Mist akzeptiere: Ich sehe mich selbst zwar mit einem kranken und behinderten Körper, aber einem Geist und einer Seele, die man nicht einfach so geschenkt bekommt. Das verdanke ich auch den vielen Psychotherapiestunden, die mir Verständnis für mich selbst brachten.

    Fotos: David Brosius

    Eine CED wie die Colitis ulcerosa kann Betroffene in allen Lebensbereichen einschränken, ohne dass die Krankheit auf den ersten Blick sichtbar ist. Hattest du bereits Probleme mit Ableismus im Alltag?

    Ableismus ist in unserer Gesellschaft so verankert wie Rassismus oder Sexismus. Er ist nur noch nicht so anerkannt. Es ist das stetige „Duuuu bist behindert?!“, weil ich ja zu hübsch und zu jung bin, um einen satten GdB (Grad der Behinderung) von 70 vorweisen zu können. Die schlechte(re) Bezahlung bei gleicher und besserer Kompetenz. Nichteinstellungen in Jobs aufgrund von Angst der Arbeitgeber vor meinen „Einschränkungen“. Vorwürfe, ich sei kriminell und hätte mir meinen Behindertenausweis gefälscht – als gäbe es nichts Geileres zu fälschen … Mobbing, Abwertung, Beleidigung, Gewalt. Verharmlosung, Medical Gaslighting, Fahrlässigkeit von medizinischem Fachpersonal, weil „Bauchweh mit einer CED ja ganz normal ist“ oder „Patienten mit CED alle einen an der Waffel haben“. Oder der Vorwurf, man wolle ja nur einen „Behindertenbonus“. Wer jetzt ernsthaft denkt, Ableismus existiere nicht, der spricht am besten mal mit einem behinderten Menschen und hört auch zu. 

    Du bist Teil des CHRONISCH-GLÜCKLICH-Teams und nutzt deinen Instagram-Account, um offen und schonungslos über alle Aspekte rund um eine CED aufzuklären. Welchen Stellenwert hat für dich die Vernetzung mit anderen Betroffenen? 

    Die großartige Eva Maria Tappe hat damals den Verein gegründet, weil sie sich so unglaublich allein gefühlt hat mit ihrer CED und wollte, dass sich niemand mit dieser Diagnose jemals wieder so allein fühlen muss. CHRONISCH GLÜCKLICH ist ein Verein für Betroffene von Betroffenen. Für mehr Aufklärung, die beim Arzt zu kurz kommt. Für Austausch. Um den Blickwinkel zu erweitern und zu zeigen, dass das Leben mit der Erkrankung zwar wirklich beschissener ist, aber dennoch super viele schöne Momente hat. Eben chronisch und glücklich. Davon wollte ich ein Teil sein und helfen, wo ich kann. 

    Meinen Instagram-Account nutze ich, um offen über meine Gefühle und Symptome meiner CED zu sprechen. Diese schonungslose Ehrlichkeit und das Zeigen meiner Realität mit allen Facetten hilft vielen, sich validiert zu fühlen und für sich einzustehen. Neulich sagte mir eine Bauchfreundin mit Angststörung, sie traue sich dank mir endlich, „wutig“ zu sein. Wütend und mutig. Und genau das ist der Grund, warum ich das mache. Denn Wut ist das Gefühl, dass wir etwas Besseres verdient haben. Und den Mut zu haben, dafür einzustehen, ist stark. 

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