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    „Mama ist noch da! Sie löst sich ja nicht auf!“

    Fotos: Privat

    Auf ihrem Blog „Alzheimer und wir“ berichtet Peggy Elfmann (42) über die Alzheimer-Erkrankung ihrer Mama Kerstin (65) und darüber, wie sie als Tochter damit umgeht. Uns gewährt die Journalistin heute einen Einblick in den Alltag ihrer Familie, in der der Alzheimer inzwischen zu Hause ist.

    Peggy, der Alzheimer beschäftigt uns meist erst dann, wenn wir ihn im nahen Umfeld treffen. Wie war deine erste Begegnung mit ihm?

    Ich wusste selbstverständlich, dass es die Alzheimer-Erkrankung gibt. Doch sie war bis zu dem Sommertag vor gut zehn Jahren, an dem meine Mama ihre Diagnose erhielt, kein Thema für mich. Das änderte sich von jetzt auf gleich: Mama, eine bislang gesunde und fitte 55-Jährige, die ihre Arbeit als Sport- und Geografielehrerin liebte, entschied angesichts der Diagnose, dass sie nach den Sommerferien nicht mehr in den Schulbetrieb zurückkehren würde. Ich nehme an, dass sie schon länger mehr Anzeichen gespürt hatte, als sie uns gegenüber zugab. Uns war zwar aufgefallen, dass sie sich mehr zurückgezogen hatte, als wir es von ihr kannten, auch sah sie sehr erschöpft aus, aber das schoben wir eher auf ein berufsbedingtes Burn-out. 

    Wie war die Diagnose für deine Mutter?

    Einerseits war die Diagnose ein Schock, andererseits habe ich bei ihr auch ein wenig Erleichterung gespürt – und zwar darüber, dass hinter so manchem, was sie im Alltag erlebt hatte, der Alzheimer steckte. Sie war nicht schuld daran, dass sie die Orientierung verloren hatte, in turbulenten Gesprächsrunden nicht mehr hinterherkam, ihr bestimmte Wörter nicht mehr einfielen, sondern es lag an der Krankheit. Das machte sie natürlich traurig, später phasenweise sogar depressiv. 

    Wie war es für dich, deine Mama nach und nach verschwinden zu sehen? 

    Verschwunden ist sie nicht. Sie löst sich ja nicht auf! Im Gegenteil: Ich bin überzeugt, dass unser Wesen und unsere Erfahrung tief in unserem Körper gespeichert sind. Auch wenn Mama nicht mehr mit mir darüber sprechen kann, das, was sie ausmacht, das ist noch da. Das reagiert auf mich. Ich fühle sie. Wir sind uns immer noch nah. Die Nähe ist anders, nicht mehr reflektierend. Natürlich fehlt sie mir in vielen Momenten – besonders seit ich selbst Mutter bin. Da würde ich sie gerne einfach mal anrufen. Wir haben vieles nicht mehr besprechen können – wir dachten, uns würde noch Zeit bleiben. 

    Sprichst du stattdessen mit deinem Papa?

    Ja. Wir haben in den vergangenen Jahren angefangen, uns intensiver auszutauschen.  Aber er ist der Papa, das ist etwas anderes.

    Wie geht es deiner Mama heute?

    Mama lebt nach wie vor zu Hause. Das Haus meiner Eltern ist barrierefrei gemacht worden. Mein Papa kümmert sich um meine Mama. Das hat er von Anfang an getan, er ist etwas älter als Mama und war damals schon aus dem Lehrerberuf ausgeschieden. Dreimal die Woche besucht Mama eine Tagespflege, so hat Papa auch mal Zeit für sich. 

    Was bewegt dich am meisten, wenn du an deine Mama denkst?

    Dass ich nicht so oft bei ihr sein kann, wie ich möchte. Das tut mir leid. Mamas Alzheimer ist bei uns Familiensache, auch wenn mein Papa den Alltag mit ihm fast alleine stemmt, da mein Bruder und ich weiter weg leben. Ich wäre gerne öfter bei ihr, würde ihr gerne mehr schöne Momente bereiten, sie öfter zum Lachen bringen.

    Haderst du mit dem Schicksal? 

    Manchmal ertappe ich mich dabei, zu denken, wie ungerecht das alles ist: Meine Mama hat immer gesund gelebt. Sie war von Kindheit an eine Sportlerin und ihr Leben lang aktiv. Ich laufe heute auch regelmäßig. Das erdet mich in Momenten, wo mich Sehnsucht, Verzweiflung, Wut oder Traurigkeit packen. Mitunter spüre ich die Mama dann sogar neben mir laufen oder führe in Gedanken die Gespräche mit ihr, die ich leider nicht mehr führen kann.

    Hast du einen Rat für Familien, die plötzlich mit einem Alzheimer leben müssen?

    Hätte ich gewusst, dass wir eines Tages nicht mehr miteinander sprechen könnten, hätte ich viel mehr gefragt. Ich hätte versucht, herauszufinden, wie ihre Kindheit war, was ihr im Leben wichtig ist und womit sie sich wohlfühlt. Und ich hätte mit ihr darüber gesprochen, was sie sich für eine Pflegesituation wünschen würde. Ich hätte zig Listen mit ihrer Lieblingsmusik, ihrem Lieblingsessen und mehr geschrieben …

    Was wünschst du dir für deine Mama und deine Familie?

    Ich wünsche meiner Mama, dass sie sich wohlfühlt und zufrieden ist – und dass sie ihr Lachen beibehält. Uns wünsche ich, dass wir ihr all das geben können, was sie braucht, und es uns damit gut geht. 

    Peggy Elfmann – Bloggerin und Autorin

    Auf Peggys Blog „Alzheimer und wir“ finden Interessierte, davon Betroffene sowie deren Angehörige jede Menge Informationen und persönliche Erfahrungen, die die Journalistin als Tochter einer Mutter sammelt, die an Alzheimer erkrankt ist. Peggy ist es eine Herzenssache, die Momente, die ihre Familie mit dem Alzheimer erlebt, seien es schöne, traurige oder schwierige, so authentisch wie möglich festzuhalten – sie hofft, anderen damit helfen zu können. Um noch mehr Menschen zu erreichen, hat sie das Ganze in diesem Jahr auch als Buch „Mamas Alzheimer und wir. Erfahrungsbericht und Ratgeber“ herausgebracht (Mabuse-Verlag).  
    alzheimerundwir.com
     #peggyelf

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