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    In der Kampagne #wissenverdoppeln sprechen Menschen offen über ihr Leben mit HIV. Die Botschaft: HIV ist unter Therapie nicht übertragbar

    Foto: Shift Drive via Shutterstock. Alle weiteren Bilder: dah/phil meinwelt

    Manchmal dauert es, bis die Öffentlichkeit von Sensationen Notiz nimmt. So zum Beispiel bei den medizinischen Möglichkeiten, die heute bei HIV bestehen.

    Menschen mit HIV können heute leben wie alle anderen. Die Medikamente erhalten die Gesundheit. Und mehr noch: HIV ist unter Therapie nicht übertragbar. Diese wissenschaftliche Tatsache kennen aber nur 10 Prozent der Bevölkerung, ergab eine Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 2017.

    Dabei kann das Wissen dazu beitragen, Berührungsängste abzubauen – und damit Zurückweisung und die Tabuisierung von HIV. Die Deutsche Aidshilfe hat darum die Kampagne #wissenverdoppeln gestartet. Ziel: Alle sollen die gute Nachricht kennen. Und sich daran erinnern, dass HIV im Alltag sowieso nicht übertragbar ist.

    Kinder kriegen? Aber natürlich!

    Franziska

    Lebt mit HIV und hat drei gesunde Kinder bekommen. Selbst manche Ärzt_innen wissen nicht, dass dies schon lange möglich ist.

    Ich habe als HIV-positive Frau drei gesunde Kinder bekommen. Als ich vor 18 Jahren die Diagnose bekam, hätte ich mir das selbst nie vorstellen können. Ich habe aber mit 20 auch nicht gesagt: „Kinder muss ich unbedingt mal haben!“ (lacht).

    Damals hab ich studiert und wollte einen guten Beruf, zugleich reisen und die Welt sehen. Das ging alles auch mit HIV. Wie alles auch mit HIV geht. HIV war ja schon immer eine relativ schwer übertragbare Infektion. Mit der Therapie ist es unmöglich geworden, das Virus weiterzugeben.

    Das hat nicht nur meine Lebensqualität verbessert, sondern ist auch eine wichtige Nachricht für die Gesellschaft. Alle können sich entspannen. Und Positive können einfach ganz normal leben, Sex haben, Kinder zeugen und zur Welt bringen.

    Aber nicht nur Kinderbekommen ist einfacher und schöner geworden, sondern auch das Kinderzeugen. Da muss mir zum Beispiel niemand Sperma einführen: Ich kann einfach Sex haben, so wie andere Menschen auch. Ich schlafe mit dem Vater meiner Kinder schon lange ohne Kondom. Wir gehen seit vielen Jahren völlig selbstverständlich damit um, dass HIV unter Therapie nicht übertragbar ist.

    Bei manchen Ärzt_innen ist das allerdings immer noch nicht angekommen. In der Entbindungsklinik bei mir in der Nähe wussten sie nicht, dass HIV-positive Frauen unter Therapie auf natürlichem Weg HIV-negative Kinder zur Welt bringen können. Sie waren sich jedenfalls nicht sicher genug, um mich dabei zu begleiten.

    Deshalb habe ich meine Zwillinge in einer 200 Kilometer entfernten Klinik bekommen. Das war logistisch nicht so einfach, ließ sich aber nicht anders machen: Ich wollte keinen Kaiserschnitt – der war früher wichtig, um das HIV-Übertragungsrisiko zu senken, ist aber bei einer HIV-Therapie der Mutter nicht mehr nötig.

    Diese Selbstverständlichkeit auch in der Gesamtgesellschaft zu erreichen, wäre ein großer Schritt nach vorne. Deswegen: Weitersagen hilft! Die Botschaft ist ja auch nicht so wahnsinnig kompliziert.

    „Dank Therapie spielt HIV in unserer Beziehung keine Rolle“

    David und Silke

    David hat HIV, Silke nicht. Davids Medikamente sorgen dafür, dass es ihm gut geht und HIV selbst im Bett kein großes Thema ist.

    Silke: Kennengelernt habe ich David 2017. Wir arbeiten beide ehrenamtlich für die Aidshilfe und haben eines Abends gemeinsam Info-Materialien vor der Berliner Philharmonie verteilt. Dabei wäre es vielleicht geblieben, hätte uns nicht eine Reisegruppe Eintrittskarten geschenkt. Wir gingen gemeinsam ins Konzert und hinterher was trinken. So kam eins zum anderen. Noch am gleichen Abend erzählte mir David, dass er HIV-positiv ist.

    David: Für mich galt immer die Devise: Spätestens beim zweiten Date packe ich die Tatsachen auf den Tisch. Wenn sich die Frau dann wegen meiner Infektion vom Acker macht – bitte sehr. Aber monatelang ein Geheimnis mit mir rumschleppen, mich verlieben und am Ende als Depp dastehen, darauf kann ich verzichten.

    Silke: Ich wusste ganz gut über HIV Bescheid. Trotzdem habe ich recherchiert, ob ich ein Risiko eingehe, wenn ich mit David Sex habe. Die Faktenlage war eindeutig: Das Virus kann bei erfolgreicher HIV-Behandlung nicht übertragen werden. Für mich bedeutete das aber nicht, dass ich sofort auf Kondome verzichtet hätte. Erst einmal wollte ich David besser kennenlernen und Vertrauen aufbauen. Seit ich weiß, wie konsequent er seine Medikamente einnimmt, lassen wir die Gummis weg. Dank Therapie spielt die HIV-Infektion in unserer Beziehung keine Rolle. Für mich ist das so, als wäre er kurzsichtig: Beides ist nicht ansteckend.

    David: Mit den HIV-Medikamenten bleibe ich gesund und kann gut mit HIV leben. Ganz nebenbei sorgen sie auch dafür, dass selbst beim Sex eine Übertragung nicht mehr möglich ist. Kurzum: Die Therapie schützt nicht nur mich, sondern auch meine Partnerin.

    Silke: David geht so offen und selbstbewusst mit seiner Infektion um, dass ich keine Hemmungen habe, es ebenfalls zu tun. Schlechte Erfahrungen habe ich dabei bisher nicht gemacht. Ein paar Freundinnen haben die eine oder andere Frage gestellt. Aber das ist normal, wenn man mit dem Thema sonst kaum in Berührung kommt. Auch meine Eltern haben entspannt reagiert.

    David: Solche Reaktionen sind leider keine Selbstverständlichkeit – ein Grund, warum wir uns an der Kampagne #wissenverdoppeln beteiligen. Je besser Menschen Bescheid wissen, desto weniger Vorurteile gibt es – und umso entspannter können wir alle mit HIV umgehen.

    Wir müssen Diskriminierung abbauen, damit die gute Nachricht ankommen kann!

    Hugues Blaise Feret Pokos

    Dr. Feret Pokos ist Pfarrer und spricht in seiner Kirche über die Nichtübertragbarkeit von HIV unter HIV-Therapie. Er sagt aber auch: Reden allein reicht nicht.

    Menschen mit HIV, die HIV-Medikamente nehmen, können ein gesundes Leben führen. Außerdem ist HIV dann nicht mehr übertragbar.

    Diese erleichternde Botschaft kann in afrikanischen Kirchengemeinden eine große Wirkung entfalten. Gerade – aber nicht nur – für die Gemeindemitglieder, die selbst mit HIV leben.

    Allerdings ist es schwierig, das Thema HIV und Aids dort zur Sprache zu bringen. Es gilt als Tabu und wird oft mit Tod und Sünde in Verbindung gebracht.

    Trotzdem spreche ich in meiner Kirche auch über HIV und die Nichtübertragbarkeit unter Therapie. Denn nur, wenn wir darüber reden, können wir Vorurteile abbauen.

    Reden reicht aber nicht! Denn eine gewaltige Rolle spielen auch Diskriminierung und Rassismus.

    Menschen aus afrikanischen Ländern, die in Deutschland mit HIV leben, werden mehrfach diskriminiert: zum einen, weil sie Schwarz sind und aus einem anderen Land kommen, zum anderen wegen der HIV-Infektion.

    Viele Afrikaner_innen haben in Deutschland keine Papiere oder Krankenversicherung und damit keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung. Sie bekommen dann auch keine HIV-Medikamente, die die Gesundheit schützen und HIV-Übertragungen verhindern.

    Was haben diese Menschen dann von der Nichtübertragung unter HIV-Therapie? Sie sind von dieser Botschaft strukturell ausgeschlossen.

    Wir müssen also die strukturelle Diskriminierung und Rassismus abbauen, damit die gute Nachricht ankommen kann. Die Herausforderungen sind groß. Die Chancen aber auch!

    Sie möchten mehr erfahren?

    Weitere Geschichten und Informationen finden Sie unter www.wissen-verdoppeln.hiv

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