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    Lasst uns mehr über Sex reden!

    FOTO: MAX HOFSTETTER/BR

    Die TV-Moderatorin Ariane Alter (36) und der Journalist Kevin Ebert (28) hosten den BR-Sexpodcast „Im Namen der Hose“ von PULS. Hier sprechen sie über Sex, Sextabus und darüber, wie sich Letztere brechen lassen.

    Ari, Kevin, als Sexpodcaster*in redet ihr über ein Thema, das für mehr als ein Viertel der Frauen (28 Prozent) und mehr als ein Fünftel der Männer (22 Prozent) hierzulande (noch) ein Tabuthema ist.1 Seid ihr Tabubrecher?

    FOTO: MAX HOFSTETTER/BR
    @namealter

    Ari: Auf jeden Fall. Das merke ich schon an den Reaktionen in meinem Umfeld. Da bekomme ich immer noch und immer wieder zu hören: „Ariane, … du redest da ja über … (räusper, räusper) … Sex …, wie fühlst du dich damit?“ Kaum zu glauben, wie vielen es noch immer schwerfällt, nur das Wort „Sex“ auszusprechen! Sextalk ist für viele ganz sicher noch immer tabu. Ich stelle zwar fest, dass über durchschnittlichen Sex, also das, was unter „normalem Sex“ oder „Vanillasex“ verstanden wird – die klassische Eissorte steht hier für gewöhnlichen, einfachen Sex ohne Extras –, öfter als früher geredet wird. Aber alles, was „anders“ ist, wird noch immer tabuisiert. Und nicht nur das: Der „andere Sex“ wird oft nur voyeuristisch betrachtet und die, die ihn praktizieren, werden gerne als Freaks hingestellt. Ich beobachte das immer wieder auf der alljährlichen Demo zum Christopher Street Day (CSD) in Berlin: Da gibt’s Leute, die Spaß daran haben, sich in Lack und Leder zu kleiden und als Hund an der Leine zum Gassigehen ausführen zu lassen – für mich ist das nichts, aber soll doch jeder seine Vorlieben ausleben – ich meine, keine Ahnung, was zum Beispiel Kevin so treibt, aber das geht mich auch nichts an! Ähm, Kevin: Was treibst du eigentlich so?

    Kevin: Ich bin eine Natural-Born-Vanilla-Schote, Ari!

    Ari: (lacht) Aha. Zurück zum CSD! Von den Medien werden oft gerade die Menschen mit der Vorliebe, als Hund Gassi zu gehen, aus dem bunten CSD-Sexstrauß hervorgehoben und regelrecht vorgeführt. Dabei ist auch deren Praxis nur eine von vielen Spielarten von Sex.

    Kevin: Sex ist heute sicher präsenter denn je. Kein Film kommt ohne Sex aus, manche Storys drehen sich allein darum … Games of Thrones zum Beispiel …

    Ari: Nee, nee, Kevin, da geht’s auch ums Einander-Abschlachten …

    Kevin: Stimmt. Doch bei all dem Sex überall in Politik, Wirtschaft und Kultur gehen wir dennoch nicht offen damit um: Sobald Sextalk konkret und/oder persönlich wird, fehlen vielen die Worte. Ein Grund ist sicher der: Spräche man konkret über Sex, müsste man auch eigene Zweifel, Sorgen, Ängste, Vorurteile, Wissenslücken und Schwächen thematisieren.

    Macht euer beruflicher Sextalk auch etwas mit euch?

    FOTO: MAX HOFSTETTER/BR
    @flyebert


    Kevin: Wir sprechen „Im Namen der Hose“ ja nicht nur einfach so über Sex. Wir haben Experten an der Seite, die ihr fundiertes Fachwissen mitbringen: Gynäkolog*innen, Urolog*innen, Psycholog*innen. Das füllt Wissenslücken – bei uns und den Hosis (so nennen wir unsere Zuhörer*innen). Und unsere Sextalks drumherum fordern einen immer wieder zum Nachdenken auf. Bevor ich als Host laut sage, was ich denke, muss ich mich mit dem Thema auseinandersetzen, eine Haltung dazu entwickeln. Ich merke an mir, dass ich inzwischen Dinge viel häufiger geradeheraus beim Namen nenne, bereit bin, ehrlich über Schwächen zu reden … (Sex)-Talk ist für mich viel selbstverständlicher als früher. Und ich setze auch mal um, was ich im Job von unseren Profis lerne: Ich habe beispielsweise im Zuge der Recherche zum Thema „Schlussmachen“ auch Schluss gemacht.

    Ari: Mich bewegt unser berufliches Thema auch insofern persönlich, als ich an den Reaktionen unserer Hosis sehe, wie groß das Bedürfnis vieler ist, über Sex, Sexualität und Beziehungen offen zu sprechen, sich auszutauschen. Ich spüre, dass das Tabuisieren des Themas viele schmerzt. Das macht was mit mir. Und so versuche ich, in meinem Leben offener damit umzugehen. Also nicht so, dass ich in jedem Gespräch mit Freundinnen gleich mit dem Sex ins Haus falle. Doch ich bemühe mich, unverklemmt zu sein. Zugegeben, das gelingt mir mit Gleichaltrigen und Jüngeren besser als mit Älteren. Meine Eltern beispielsweise wissen, worum es „Im Namen der Hose“ geht. Aber wir reden da jetzt nicht bei jedem Treffen drüber. Kevin, hören deine Eltern unseren Podcast?

    Kevin: Ich glaube nicht … Aber da reden wir auch nicht drüber. Sex war in unserer Eltern-Kind-Beziehung nie ein großes Thema.

    Was bewegt ihr mit eurem Podcast?

    Ari: Gemessen an den Reaktionen unserer Hosis bringen wir Sex auf den Tisch: auf den Küchentisch von WGs, auf den Nachttisch von Paaren. Damit landen unsere Themen mitten im (Sex)-Leben. Und regen zur Auseinandersetzung an.

    Kevin: Wir werden als Infoquelle und als Tabubrecher gehört. Über das Podcastformat gehen unsere Stimmen und damit unsere Themen direkt ins Ohr. Das schafft große Nähe.

    Seid ihr so was wie Dr. Sommer aus der BRAVO?

    FOTO: MAX HOFSTETTER/BR

    Kevin: In gewisser Weise schon. Wir klären wie das Dr.-Sommer-Team über Sex auf. Und viele unserer Themen resultieren aus Anfragen unserer Hosis. Doch ich sehe uns eher als die älteren Geschwister, die um Information und Rat gefragt werden können. Wir sind ja keine Sexprofis.

    Was ist euer bester Tipp, wenn es um Sex, Sexualität und Beziehung geht?

    Kevin: Reden. Reden. Reden. Das klingt jetzt banal, ist für mich aber der einzig richtige Weg. Gerade Menschen mit Penis fällt das Reden immer noch schwer.

    Während viele über das, was sie möchten, reden können, können sie oft noch nicht ausdrücken, was sie nicht möchten. Ich weiß jedoch aus eigener und der Erfahrung meiner Freund“innen, dass es gut ankommt, direkt zu sagen, was man will und was nicht. Eine Aussage wie „Du, ich will das gerade nicht“ oder „Ich habe das noch nie gemacht“ sorgt für klare Verhältnisse. So eine klare, direkte Kommunikation ist übrigens auch das beste Rezept, wenn die/der Partner“in Mundgeruch hat, es um Sex während der Periode und die Verwendung von Sextoys geht oder man sich beim Sex eine Pilzerkrankung geholt hat.

    Ari: Und auch das Neinsagen ist wichtig! Jeder hat mal keine Lust auf Sex, und das ist ok. Dennoch ist das Nein zu Sex oft noch ein Tabu. Wem das Neinsagen schwerfällt, der kann mit kleineren Neins üben. Es wird von Mal zu Mal leichter, versprochen!

    Was brauchen wir als Gesellschaft, um Sex zu enttabuisieren und besser mit unserer Sexualität umzugehen?

    Kevin: Wir sind noch weit davon entfernt, dass jede*r sagen kann, was sie oder ihn zum Thema bewegt. Ich weiß von so einigen, dass sie gerne mal gleichgeschlechtlichen Sex ausprobieren würden, ohne gleich die Seiten von heterosexuell zu homosexuell wechseln zu wollen. Das laut zu wünschen, ist ein großes Tabu, insbesondere für Menschen mit Penis. Sex zu enttabuisieren, das braucht eine adäquate Sexbildung. Unser Umgang mit Sexualität, Sex und Beziehungen resultiert schließlich aus dem, was wir von klein auf dazu gelernt haben. Solange in Elternhaus, Kita und Schule nicht offen über die Vielfalt von Sexualität gesprochen wird, natürlich altersgemäß, findet Sexualkunde weiterhin wie einst bei mir auf dem Schulhof oder daheim übers Pornogucken statt. Damit nehmen wir uns als Gesellschaft aber die Chance auf einen offenen, unvoreingenommenen, gleichberechtigten und selbstbestimmten Umgang mit Sex. Vom Spaß dabei ganz zu schweigen. Denn an dem, was bei dieser Ersatzaufklärung rüberkommt, ist ’ne Menge falsch.

    Ari: Ich rate jeder*m, die/der sich dabei ertappt, eine bestimmte Sexualität zu verurteilen, wenn du die Chance hast mit jemandem mit dieser Vorliebe zu sprechen, tu es. Denn die/derjenige, die sich einmal die Woche für zwei Stunden an der Hundeleine herumführen lässt, ist während der anderen 166 Wochenstunden vielleicht genauso durchschnittlich wie man selbst. Lasst uns eher Gemeinsamkeiten suchen, als Unterschiede. Lasst uns einfach mehr über Sex reden!

    [1] https://www.brigitte.de/liebe/persoenlichkeit/die-grosse-brigitte-studie-zeigt—ehrlich-macht-stark–13178324.html

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