Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer
Präsident der Deutschen STI- Gesellschaft
Zwar ist Sex in unserer Lebenswelt nahezu omnipräsent, doch erweist sich Kommunikation über die eigene Sexualität immer noch als schwierig: Wenn überhaupt, sprechen viele Menschen nur mit dem engsten Kreis an vertrauten Personen offen darüber.
Probleme oder Beschwerden im Bereich der Sexualität werden tendenziell verschwiegen oder doch zumindest als ausgesprochen peinlich empfunden. Dazu gehören zahlreiche Aspekte: von einer reduzierten oder fehlenden Libido über Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Probleme, eine Erektion zu haben oder zu halten, bis hin zu sexuell übertragbaren Infektionen (STI). Zu nennen sind hier diejenigen Infektionen, die die meisten Menschen zumindest vom Namen her kennen (z. B. HIV, Tripper oder Syphilis), aber auch weniger bekannte Infektionen wie etwa Chlamydien oder Mykoplasmen. Selbst in der Kommunikation mit Ärzt(inn)en ist dies nicht unbedingt anders: Die professionelle Distanz ist nur einen Hauch vom Tabu entfernt, sodass bis zu 80 % der Patient(inn)en noch nie mit ihren Behandler(inn)en über Sexualität und sexuell übertragbare Infektionen gesprochen haben – und das teilweise trotz Symptomen!
An dieser Stelle zeigt sich, dass die Sphäre der Sexualität, wie auch andere gesundheitssensible Themen, schnell in der „Tabu-Falle“ landet: Das betrifft psychische Erkrankungen, Suchterkrankungen sowie insbesondere jene Erkrankungen, die mit einer problematischen Darmaktivität zu tun haben (man denke z. B. an Morbus Crohn), oder eben Sexualität. Aus Angst vor Stigmatisierung oder weil diese tatsächlich – bezogen auf einzelne soziale Gruppen – stattfindet, werden gesundheitliche Probleme verschwiegen – mit teilweise gravierenden Folgen.
Eine Studie hat erst kürzlich gezeigt, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen der allgemeinen und der sexuellen Gesundheit besteht. Sexualanamnese sollte demnach routinemäßig in die allgemeinärztliche Versorgung integriert werden. Dafür ist es notwendig, dies in der ärztlichen Ausbildung umzusetzen, denn auch Ärzt(inn)en haben im professionellen Kontext persönliche Schamschwellen. Jedoch muss ein offener Umgang mit Sexualität in der Allgemeinbevölkerung insgesamt immer selbstverständlicher werden. Gerade in unserer heutigen, zumindest in Deutschland in sexueller Hinsicht vielfältigen und freien Gesellschaft sollte eine ‚Sexualkultur‘ entstehen, in der das Sprechen über Sexualität gefördert und aus der Tabu-Ecke hervorgeholt wird. Das ist ein Prozess, der angestoßen und verstetigt werden muss, mit dem Ziel, dass Sprechen über Sexualität so selbstverständlich wie Zähneputzen wird. Fortschritte haben bereits die Aufklärungskampagnen der BZgA oder in Schulen gezeigt. Um aber jeden, vom Jugendlichen bis zum Altersheimbewohner zu erreichen, ist ein Zusammenspiel von Eltern, Lehrer(inn) en, Jugend- und Sozialarbeiter(inn)en, Ärzt(inn)en, Pfleger(inn)en und vielen mehr notwendig, die ihre Sprachfähigkeit über Sexualität üben und dann anwenden.
Sprechen lohnt sich! Im Hinblick auf STI wissen wir inzwischen, dass die meisten Infektionen gut behandelbar sind, wenn sie frühzeitig erkannt werden. Dies setzt natürlich voraus, dass eventuelle Beschwerden beim Arztbesuch kommuniziert werden. Und auch im Hinblick auf die Verhütung von STI ist ein offener Dialog mit dem Partner oder der Partnerin entscheidend. Das Thema Sexualität zur Sprache zu bringen, ist keinesfalls peinlich, sondern zeigt: Ich übernehme Verantwortung für meine eigene Gesundheit und für diejenige meines Partners oder meiner Partnerin.