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    „Seltene Nebenwirkungen: Herzinfarkt, Sehstörungen, Depression, Selbstmordgedanken“

    Foto: Sabrina Feige

    Felix Martin

    Sprecher für Arbeitsmarkt, Ausbildung, Kommunalfinanzen, Jugend, Antidiskriminierung und Queerpolitik der GRÜNEN Landtagsfraktion Hessen

    Okay, Notiz an mich selbst: Nie wieder den Beipackzettel meiner Tabletten lesen.

    Ich bin HIV-positiv und will mich nie wieder richtig krank fühlen: Damals hatte ich zehn Kilo in drei Wochen eingebüßt, musste mich nachts übergeben und hatte hohes Fieber. Ein jämmerliches Bild, wie ich an meinen Tropf gefesselt mit meinem Körper kämpfen musste, einen weiteren Schritt zu gehen. Ich schämte mich, während mir aus den Klamotten geholfen wurde – Würde ist ein Konjunktiv. Pneumocystis-Pneumonie lautete die Diagnose: eine bestimmte Form der Lungenentzündung, die bei Aidskranken auftritt. Aids ist die letzte Stufe der HIV-Infektion. Sie wird auch erreicht, wenn die Zahl der Helferzellen des Immunsystems deutlich sinkt. Während ein gesunder Mensch bis zu 1.600 Helferzellen pro Mikroliter Blut hat, waren es bei mir nur noch 37.

    Während ich noch im Krankenhaus lag, wurde ich zum Kreisvorsitzenden meiner Partei gewählt – ein Ausweg aus dieser desinfizierten Tristesse.

    In meinem Alltag spielt die Diagnose keine Rolle mehr. Ich bin körperlich fit, durch meine Tabletten ist eine Übertragung des Virus quasi ausgeschlossen, ich habe eine normale Lebens- erwartung und einen tollen Partner. Seitdem ist viel passiert: Ich wurde Abgeordneter im Kreistag, habe eine Ausbildung absolviert und wurde schließlich in den Hessischen Landtag gewählt. Dort konnten wir ein bundesweites Verbot von Konversionstherapien anstoßen, die Homosexualität wie eine Krankheit behandeln. Und Hessen stellt zusätzliches Geld für die HIV-Präventionsarbeit bereit.

    Heute kann ich gut mit HIV leben. Aber diese Zeit, in der ich nicht wusste, ob ich das Krankenhaus je wieder verlassen würde, die hat mich geprägt. Nie vergessen werde ich das angsterfüllte Gesicht meiner Mutter, die wohl befürchtet hatte, ihren Sohn zu Grabe tragen zu müssen.

    Ich breche das Tabu, um Wissen zu vermitteln, um zu warnen, aber auch um Mut zu machen und Ängste abzubauen.

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