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    #Lipödem

    Fotos: Stephanie Schröter

    Ich erinnere mich noch gut daran wie alles begann: Mit 22 Jahren, kurz nach meinem Abitur, erkrankte ich an der Krankheit Lipödem, eine schmerzhafte Fettverteilungsstörung, welche ich von meiner Mutter erbte. Wie ich das bemerkt habe? Meine sonst sehr schlanken, eher sehnigen muskulösen Beine, wurden immer dicker, schmerzten und sahen schließlich aus wie Säulen. Genau wie die Beine , die ich von meiner Mutter kannte…

    Zu dem Zeitpunkt als ich erkrankte (2010) herrschte jedoch noch sehr viel Unwissenheit über die Erkrankung selbst sowie die Therapiemöglichkeiten. Eigentlich gab es so gut wie keine Informationen, und somit keinen Halt, keinen Anker, und kaum Hoffnung für mich. Das Glück in meinem Unglück war jedoch, dass meine Mutter selbst betroffen war und sie in ihrer eigenen jahrelangen Misere zumindest einmal von einem Arzt den Begriff „Lipödem“ genannt bekommen hat. Ein guter Anhaltspunkt für mich! Es hieß damals zwar auch noch „man könne dagegen eh nichts machen“ – aber Ich weiß nicht was heute wäre, wenn diese eine kleine Information gefehlt hätte. Ich glaube es wäre alles anders verlaufen.

    Denn alleine mit der Information „Lipödem“ konnte ich damals schnellst möglich handeln und habe schon unmittelbar nach dem Ausbruch der Krankheit die Diagnose gestellt bekommen. Das ist bis heute nicht selbstverständlich, da noch immer viele Ärzte die Krankheit nicht kennen, Patientinnen nicht ernst nehmen, und dies zur Folge hat, dass viele Betroffene hilflos von Arzt zu Arzt rennen. Der Facharzt der sich mit der Erkrankung auskennen sollte, ist jedoch der sogenannte Phlebologe. Die Diagnose des Lipödems erfolgt durch Begutachtung, Befragung, Abtasten und Ultraschall. Bei der Diagnose des Lipödems sollte außerdem immer direkt auch die Untersuchung auf ein Lymphödem erfolgen, da dies für die weitergehenden Behandlungsansätze wichtig ist.

    Wichtig zu wissen ist daher auch die Unterscheidung von Lipödem und Lymphödem. Das Lipödem ist ein Fettödem, ein Lymphödem ein Wasserödem. Es gibt reine Lipödeme, reine Lymphödeme aber auch Mischformen in denen beide Ödemarten zusammen auftreten.

    Ebenso sollte bei der Diagnosestellung des Lipödems auch die Einteilung in Stadien erfolgen. Dies ist ebenfalls wichtig für die weiteren Behandlungsansätze und auch für die Einleitung entsprechender Maßnahmen bei der Krankenkasse.

    Das erste Mittel der Wahl nach meiner Diagnosestellung war die konservative Therapie bestehend aus Kompressionsstrumpfhose und manueller Lymphdrainage, beides wurde nach Antrag von meiner Krankenkasse übernommen. Nach fast 3 Jahren konsequenter Therapie erbrachten diese Maßnahmen bei mir jedoch leider keinen Erfolg. 

    Dafür entwickelte ich aber zunehmend Angst vor der Zukunft, weil die Krankheit bei mir trotz konservativer Therapie so schnell voranschritt, dass ich meinen Beinen förmlich beim Wachsen zu sehen konnte. Ich begann mich daher zu informieren, suchte nach anderen Betroffenen, Möglichkeiten weiterer Therapien und erfuhr schließlich, dass sogar jede 10. Frau von der Krankheit betroffen ist, die meisten dies jedoch gar nicht wussten.

    Durch diese allgemein herrschende Unwissenheit werden Lipödem Erkrankte bis heute fälschlicherweise als adipös und faul abgestempelt, ein Vorurteil, mit dem auch ich zu kämpfen hatte – nicht nur von meinem Umfeld, sondern leider auch von unwissenden Ärzten. Dabei war ich mein ganzes Leben lang schlank und betrieb Leistungssport. Für einige war ich fast schon zu schlank. Der Satz „Du musst mal mehr essen“ ist mir daher nicht fremd gewesen aber plötzlich war all das genau umgekehrt. Plötzlich war ich wie im falschen Körper, plötzlich war ich die „Dicke“. Dabei war ich nie dick, auch nicht mit Lipödem. Lediglich hatten sich meine Beine optisch so sehr verändert, dass sich auch mein gesamtes optisches Erscheinungsbild veränderte. Und plötzlich hieß es „Du solltest man weniger essen“.

    Und genau diesen Aspekt darf man beim Lipödem nicht unterschätzen: In erster Linie handelt es sich um eine schmerzhafte Erkrankung, bei der etwas im Inneren des Körpers vor sich geht. Jedoch stellt die damit einhergehende äußerliche Veränderung ebenfalls eine starke Belastung dar.

    2015 – 2016 ermöglichte mir meine Familie dann 3 Operationen. Auf den Rat meines Freundes hin eröffnete ich einen YouTube-Kanal, auf dem ich meinen Weg dokumentierte. Es erfolgte zunächst eine Operation an den Unterschenkeln, 2 Monate später an den Oberschenkeln und 1 Jahr später eine Operation an den Armen, die nach den beiden Operationen an den Beinen deutlich an Umfang und Schmerzhaftigkeit zunahmen. Leider wird oft berichtet, dass nach einer Operation andere Körperteile beginnen sich schmerzhaft zu verändern- und es ist bis heute nicht wirklich klar, welche Körperareale vom Lipödem betroffen sein können. In Meinem Fall wuchs zum Glück nach den 3 Operationen nichts mehr, aber dennoch endete mein Weg mit der Erkrankung noch nicht! 

    Abgesehen von einer langen Heilungsphase dauerte es, bis mein Kopf das neue/alte Spiegelbild wirklich erkannt hat. Es brauchte Zeit bis ich die Erkrankung loslassen konnte und mir sicher war „Es kommt nicht wieder, alles ist gut.“ Besonders die postoperativen Schwellungen können einen da schon mal verunsichern, aber das ist völlig grundlos. Die Fettabsaugung beim Lipödem ist ein großflächiger Eingriff und der Körper braucht danach Zeit um sich zu erholen. 

    Ich bin mittlerweile 30, meine Operationen sind nächstes Jahr bereits 6 Jahre her und ich bin bis jetzt beschwerdefrei und habe mein altes Leben wieder. Nach all den Jahren kann ich sagen: Viele Menschen haben mittlerweile vom Lipödem gehört. Wir Betroffene sind aufgestanden und aus  dieser Bewegung hervorgehend, konnten wir gesellschaftlich sowie politisch bisher schon viel erreichen: Mehr Akzeptanz, mehr Verständnis, bessere medizinische Versorgung, soweit es der aktuelle Stand zulässt, und  ja sogar der GBA (Gemeinsame Bundesauschuss) wird im  nächsten Jahren endlich offizielle Studien durchführen, um zu sehen, ob die OPs als medizinisch indizierte Therapie in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen werden – denn aktuell ist dies noch immer nicht der Fall und bedeutet, dass die Operationskosten von den Betroffenen selbst getragen  werden müssen.

    Auf meinem Blog myra-snoflinga.com finden Betroffene und Angehörige Tipps und Informationen wie Ärztelisten, Antragsmuster und vieles mehr. All das, was ich damals nicht hatte, zu Beginn meines Weges, möchte ich anderen nun ermöglichen.

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