Home » Krankheitsbilder » Augen » Die Lebersche-Hereditäre-Optikus-Neuropathie (LHON): Viele Patienten fallen durchs Raster
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LHON ist eine sehr seltene Erkrankung. Im Interview informiert Prof. Dr. Lagrèze über die Krankheit, deren Symptome und eine mögliche Therapie.

Prof. Dr. Wolf A. Lagrèze

Leitender Arzt der Sektion Neuroophthalmologie, Kinderophthalmologie, Schielbehandlung am Universitätsklinikum Freiburg

Die Lebersche hereditäre Optikus-Neuropathie (LHON) führt innerhalb kurzer Zeit zu erheblichem Sehverlust bis hin zu Erblindung. Bitte beschreiben Sie uns kurz die Vorgänge im Körper.

Die Netzhaut des Auges ist entwicklungsbiologisch ein ausgelagerter Teil des Gehirns, mit dem sie durch den Sehnerv verbunden ist. In der Netzhaut gibt es eine Vielzahl von Zellen: Stützzellen, lichtempfindliche Sinneszellen und Nervenzellen. Die Nervenzellen, welche die Netzhaut mit dem Gehirn verbinden, sind die sogenannten retinalen Ganglienzellen. Diese leiten die Informationen vom Auge ins Gehirn, wo Bildwahrnehmung entsteht. Die retinalen Ganglienzellen haben von allen Körperzellen mit den höchsten Energiebedarf. Die Energie wird in Form des sogenannten ATP von den Mitochondrien generiert. Bei der Erkrankung LHON haben die Mitochondrien aufgrund einer genetischen Mutation eine Funktionsstörung, sodass die Ganglienzelle bei bestimmten Belastungssituationen akut in eine Energiemangelsituation kommen kann und dann ihre Funktion einstellt. Im weiteren Verlauf schwinden dann die Nervenfasern, welche von den Ganglienzellen der Netzhaut zum Gehirn ziehen.

Auf welche Hauptsymptome sollte geachtet werden?

Bei der LHON kommt es innerhalb von Tagen zu einer Abnahme der Sehfunktion in der Mitte des Gesichtsfeldes und damit zu einem Verlust der Sehschärfe. Im Vorfeld bemerken manche Patienten, dass sie Probleme haben, Farben zu unterscheiden, oder dass das Farbempfinden abnimmt. Die Sehminderung ist schmerzlos und von keinen weiteren Symptomen begleitet. In einem Viertel der Fälle verschlechtern sich beide Augen simultan, in den anderen Fällen kann ein zeitlicher Unterschied in der Verschlechterung beider Augen von bis zu drei Monaten vorliegen.

Bei einer LHON kommt es zu einem zentralen Gesichtsfeldausfall (Skotom), bei dem die Patienten in der Bildmitte gar nichts mehr und am Rand nur noch sehr unscharf sehen.
Das erste Bild zeigt die Sicht von Menschen, die nicht an LHON erkrankt sind.
Das zweite die Auswirkungen einer LHON-Erkrankung.

Die Diagnose von LHON ist schwierig. Welchen Weg geht der Patient in der Regel und wo sehen Sie die größten Hürden in der Diagnosestellung?

Ein viel häufigeres Krankheitsbild, welches sich anfänglich ähnlich wie die LHON präsentiert, ist die Optikusneuritis, die sogenannte Sehnerventzündung, welche nicht selten von einer MS-Diagnose gefolgt wird oder im Rahmen einer MS auftritt. Auch hierbei kommt es zu einer, dann aber einseitigen Minderung der Sehfunktion, welche auch häufig von Schmerzen hinter dem Auge begleitet ist. Üblicherweise stellen sich die Patienten beim Augenarzt vor, und bei den meisten LHON-Patienten, die an unsere Klinik überwiesen werden, wurde zunächst der Verdacht auf eine Optikusneuritis geäußert.

Gibt es symptomverwandte Erkrankungen, die die Diagnose zusätzlich erschweren?

Wie erwähnt, ist die Optikusneuritis ein Krankheitsbild mit recht ähnlichen Symptomen. Es unterscheidet sich jedoch von der LHON dadurch, dass nur ein Auge betroffen bleibt, dass die Sehminderung von leichten Schmerzen hinter dem Auge begleitet ist und sich die Sehfunktion innerhalb von wenigen Wochen bei den meisten Patienten wieder erholt. Somit verlieren betroffene LHON-Patienten nicht selten viele Monate, bis die korrekte Diagnose gestellt wird.

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Es handelt sich um eine maternal vererbte Erkrankung. Was bedeutet das für die Diagnose beziehungsweise auch für die Familienplanung späterer Generationen?

Bei einer maternal vererbten Erkrankung handelt es sich nicht um die üblichen Erbgänge, wie zum Beispiel autosomal-dominant oder autosomal-rezessiv, sondern beider LHON wird die krankheitserzeugende Mutation nur von einer Mutter und nicht von einem Vater auf das Kind übertragen. Entsprechend kann nur eine erkrankte Frau diese Krankheit an ihre Kinder weitergeben. Wird die Mutation an das Kind weitergegeben, heißt dies allerdings nicht unbedingt, dass die Erkrankung auch ausbricht. Für die Diagnosestellung ist es hilfreich, immer nach ähnlichen Fällen in der mütterlichen Familie zu fragen, um eventuell auf LHON schließen zu können.

Gibt es den typischen LHON-Patienten?

Nein, den gibt es nicht. Allerdings sind von der Krankheit wesentlich häufiger Männer als Frauen betroffen, Männer meist im Alter von 15 bis 35 Jahren, Frauen eher etwas später. Die Krankheit ist in Einzelfällen allerdings auch schon sowohl bei Kleinkindern als auch bei alten Menschen diagnostiziert worden.

Basierend auf Ihrer Erfahrung: Wie viele Patienten fallen durchs Raster und welche Bedeutung hat das für die Dunkelziffer?

Nach aktuellen Berechnungen kommt es in Deutschland pro Jahr zu ungefähr 50 LHON-Neuerkrankungen. Es ist eine sogenannte seltene Erkrankung, und zwar eine sehr seltene, an welche der Augenarzt trotzdem immer denken muss. Wie zuvor schon erwähnt, fallen daher beim Erstkontakt viele Patienten durch das Raster. Sobald jedoch nicht nur ein Auge betroffen ist, sondern auch das zweite Auge innerhalb kurzer Zeit erkrankt, sollte seitens der Fachärzte differentialdiagnostisch unbedingt an LHON gedacht werden. Eine frühe Diagnose ist für den Therapieerfolg wichtig, da diese Erkrankung zu einer fortschreitenden Sehnervschädigung führt. Das heißt jedoch nicht, dass Betroffene, die bereits viele Jahre zuvor erkrankt sind, nicht mehr profitieren können. Das zeigen einzelne Fallberichte.

Seit knapp fünf Jahren gibt es eine medikamentöse Therapie, um LHON zu behandeln. Wo setzt diese an und welche Patienten sind für die Behandlung geeignet?

Die Therapie ist für alle LHON-Patienten geeignet. Dennoch ist es ratsam, per molekulargenetischer Untersuchung die Mutation im Genom der Mitochondrien nachzuweisen. Die Behandlung ist weitestgehend nebenwirkungsfrei und erfolgt in Form von Tabletten, welche die Energieproduktion der Mitochondrien verbessern und zusätzlich die Bildung von gewebsschädigenden, freien Radikalen im Nervengewebe mindern sollen. Diese Therapie erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Seherholung. Eine Seherholung ist bei LHON allerdings auch ohne Therapie möglich. Die Erholungswahrscheinlichkeit hängt von der Art der Mutation ab. Wenn die sogenannte 14484-Mutation vorliegt, erfahren die Patienten auch ohne Therapie in circa 50 Prozent der Fälle eine spontane Erholung der Sehfunktion. Liegen jedoch die Mutationen 3460 und 11778 vor, beträgt die Spontanerholungswahrscheinlichkeit nur fünf Prozent. Daher erhalten aktuell alle molekulargenetisch gesicherten LHON-Patienten diese orale Therapie.

Mit einem Blick in Gegenwart und Zukunft – Wo stehen wir im Kampf gegen LHON?

Inzwischen wurde eine Gentherapie entwickelt, bei der ein Virus in den Glaskörper des Auges injiziert wird, das im Genom der Ganglienzellen den kranken Genabschnitt korrigiert. Diese Therapie ist allerdings noch im Entwicklungsstadium und eine Teilnahme ist für Patienten nur im Rahmen kontrollierter, klinischer Studien möglich. Die bisherigen Ergebnisse stimmen hoffnungsvoll, allerdings ist hierzu das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Mit freundlicher Unterstützung der Chiesi GmbH, Hamburg

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