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Translationale Krebsforschung: „Wir haben das Ziel, die Ergebnisse aus der Wissenschaft ans Patientenbett zu bringen“

Foto: Shutterstock, 2442547487

Die Diagnose Krebs verändert alles. Für viele Patienten beginnt damit ein oft langer Weg zwischen Hoffnung und Angst. Doch hinter den Kulissen arbeitet die Forschung unermüdlich daran, Therapiewege besser, gezielter und wirksamer zu gestalten. Die sogenannte translationale Krebsforschung spielt dabei eine zentrale Rolle: Sie sorgt dafür, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse möglichst schnell den Menschen zugutekommen, die sie dringend brauchen. Wie genau das funktioniert – und welche greifbaren Erfolge es bereits gibt – erklärt uns Prof. Melanie Börries (Leiterin des Instituts für Medizinische Bioinformatik und Systemmedizin am Tumorzentrum des Universitätsklinikums Freiburg), die in diesem Jahr mit dem Deutschen Krebspreis für Translationale Forschung ausgezeichnet wurde.

Frau Prof. Börries, was genau versteht man unter „translationaler Krebsforschung“?

In der translationalen Krebsforschung versuchen wir, Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung möglichst schnell an das Patientenbett zu bringen. Ein Beispiel: Aus dem Tumorgewebe eines Patienten können wir kleine, im Labor weiterwachsende Modelle seines Tumors herstellen – sogenannte Organoide oder Mini-Tumore. Untersuchen wir deren genetische Eigenschaften und testen verschiedene Medikamente direkt an diesen Mini-Tumoren, zeigt sich oft schon im Labor, welche Behandlung am besten wirkt.

Wenn ein bestimmtes Medikament das Wachstum dieser Mini-Tumore stoppt, kann das ein wichtiger Hinweis darauf sein, dass es auch dem Patienten helfen könnte. Bestätigen sich solche Ergebnisse bei mehreren Betroffenen, kann daraus eine klinische Studie entstehen. Dabei lassen sich auch sogenannte Biomarker entdecken – also typische molekulare Merkmale eines Tumors. Diese helfen uns, Krebsarten genauer zu unterscheiden und gezielt neue Therapien zu entwickeln. Solche Biomarker sind ein Schlüssel, um Behandlungen präziser, effektiver und nebenwirkungsärmer zu gestalten. Gleichzeitig ermöglichen sie es uns, Erkrankungen früher zu erkennen und besser vorherzusagen, wie ein Patient auf ein bestimmtes Medikament anspricht.

Translationalen Fortschritt zu erzielen ist allerdings ein langer und komplexer Prozess und gelingt nur durch die enge Zusammenarbeit vieler Disziplinen: z. B. Medizin, Biologie, Physik, Mathematik und Datenwissenschaften. Diese arbeiten gemeinsam daran, Forschungsergebnisse schneller in die klinische Anwendung zu überführen und den Patienten direkt zugutekommen zu lassen.

Translationaler Fortschritt gelingt nur durch die Zusammenarbeit vieler Disziplinen.

Kann die translationaler Krebsforschung bei allen Krebsarten zum Einsatz kommen?

Grundsätzlich würde ich keine Krebsart ausschließen. Natürlich stehen uns für häufige Krebserkrankungen deutlich mehr Daten zur Verfügung als für seltene. Um die Forschung in allen Bereichen voranzutreiben, arbeiten wir in Verbünden zusammen, zum Beispiel im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK). Davon profitieren insbesondere Patienten mit seltenen Krebserkrankungen, da diese Verbünde sowohl Fachwissen als auch vorhandene Daten bündeln können. Dadurch gelangen wir schneller zu Ergebnissen, die in die Entwicklung potenzieller Therapien einfließen können.

Solche Verbundprojekte bestehen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Mit dem European Health Data Space wurde in diesem Jahr ein wichtiger Rahmen geschaffen, um medizinische Daten zu Forschungszwecken EU-weit austauschen zu können. Das ist auf jeden Fall der richtige und notwendige Weg, um die Forschung weiter zu beschleunigen und die translationale Medizin nachhaltig zu stärken.

Können Sie uns ein Beispiel nennen, bei dem durch translationale Forschung eine neue Therapie oder ein Medikament für Krebspatienten entwickelt wurde?

In einem unserer Projekte haben wir Patienten mit einer Blutkrebserkrankung, der sogenannten akuten myeloischen Leukämie (AML), untersucht, die eine Stammzellbehandlung erhalten haben. Bei einigen der Patienten kam es zu einer Abwehrreaktion des Körpers, der sogenannten Graft-versus-Host-Erkrankung (GvHD). Dabei greifen die übertragenen Immunzellen fälschlicherweise den Körper des Empfängers an und schädigen gesundes Gewebe oder Organe. Wir haben uns auf jene Fälle konzentriert, in denen die Erkrankung nicht mehr auf die üblichen Medikamente wie Kortison ansprach.

Unser Ziel war es, die Ursachen zu erforschen und neue Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Durch die Analyse der Daten konnten wir zeigen, dass die Rho-Kinase Typ 1 und 2 (ROCK1/2) eine zentrale Rolle bei der Entstehung dieser ungewollten Immunreaktion spielt. Im Mausmodell konnte gezeigt werden, dass die Blockade dieser Kinase mit sogenannten ROCK1/2 Inhibitoren die Abstoßungsreaktion verhindert. Diese Ergebnisse bilden die Grundlage für eine aktuell laufende klinische Studie, in der wir untersuchen, ob sich der Effekt auch bei den Patienten bestätigen lässt. Das ist natürlich genau der Weg, den wir uns in der translationalen Forschung wünschen: Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung so schnell wie möglich zum Nutzen der Patienten einzusetzen.

Wie profitieren Patienten ganz konkret davon – zum Beispiel im Hinblick auf personalisierte Therapien oder bessere Heilungschancen?

Natürlich gibt es etablierte Leitlinientherapien für viele Krebsarten, deren Wirksamkeit durch große Studien belegt ist, und diese kommen auch zuerst zum Einsatz. Aber was machen wir mit Patienten, die auf diese Standardtherapien nicht ansprechen, bei denen der Krebs wiederkehrt oder Metastasen bildet? Dann sind weitere Untersuchungen notwendig, wie zum Beispiel eine molekulargenetische Untersuchung des Tumors. Dadurch erfahren wir mehr über die individuellen Eigenschaften des Tumors und können mögliche Schwachstellen identifizieren. Auf dieser Grundlage entwickeln wir personalisierte Therapien, die gezielt an diesen Schwachstellen des Tumors ansetzen. So erhöhen wir die Chance, dass die Behandlung wirkt und reduzieren gleichzeitig mögliche Nebenwirkungen. Ein weiterer Aspekt ist, dass die gewonnenen Ergebnisse wiederum in die Regelversorgung zurückfließen. Je mehr molekulare Daten wir sammeln und analysieren, umso größer ist die Chance, auch hier gewisse Muster zu erkennen, die in Zukunft helfen, neue Standardtherapien zu entwickeln. Translationale Forschung passiert also auf verschiedenen Ebenen und in verschiedene Richtungen. Wir wollen Erkenntnisse aus der Forschung nicht nur in die Klinik bringen, sondern auch aus der Klinik zurück in die Forschung – ein Kreislauf, von dem die Patienten ganz unmittelbar profitieren.

Translationale Forschung passiert auf verschiedenen Ebenen und in verschiedene Richtungen.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen, um Erkenntnisse aus dem Labor erfolgreich in die Klinik zu bringen – und wie kann die Forschung hier noch besser werden?

Ich denke, wir sind aktuell noch zu langsam, wenn es darum geht, unsere Forschungsergebnisse aus dem Labor in klinische Studien zu überführen und diejenigen zu unterstützen, die diesen Weg bis zur Entwicklung und Produktion eines Medikamentes konsequent weiterverfolgen wollen. Wir haben mit den Nationalen Centren für Tumorerkrankungen (NCTs) und dem Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) bereits Strukturen, die Translation und klinische Studien vorantreiben. Aber an den Universitäten und Kliniken braucht es noch mehr Verständnis und gezielte Unterstützung für diejenigen, die diesen translationalen Weg beschreiten. Vor allem braucht es auch einen Abbau von übermäßiger Bürokratie und regulatorischen Hürden, um Forschung schneller in die Anwendung bringen und mit der Industrie effizienter zusammenarbeiten zu können. Ebenso wichtig ist die offene Kommunikation mit Patienten und der Öffentlichkeit.

Wir müssen immer wieder erklären und aufklären, warum wir diese Forschung betreiben und warum die Nutzung der Gesundheitsdaten so wichtig ist, um neue Therapien oder Diagnostik zu entwickeln. Wenn immer mehr Menschen verstehen können, welchen Mehrwert ihre Daten für die Forschung haben, entsteht ein gegenseitiger Lernprozess. Die Patientencommunity ist damit ein zentraler Partner im Forschungsgeschehen und auf dem Weg zu innovativen Behandlungsmöglichkeiten.

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