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    Unsere Mutmacher im Kampf gegen Krebs

    Fotos: Peter Müller (Noir Team)

    Es braucht ein ganzes Dorf

    Im September 2016 erhielt er die Diagnose: Multiples Myelom, eine aggressive, seltene und als unheilbar geltende Form des Blutkrebses. Norman Roßberg hat die Erfahrung gemacht, dass man in Gesellschaft besser mit dem Krebs leben kann als allein. Auch deshalb engagiert er sich bei yeswecan!cer.

    Norman ist ein Menschenfänger. Sofort fällt auf, dass der Portalmanager eines Ulmer Medienunternehmens Spaß an Menschen hat und gern auf sie zugeht, sie gewinnen und überzeugen kann. Sein Lachen steckt an – und auch deshalb fällt es leicht, über ein Thema mit ihm zu sprechen, das viele lieber verdrängen: Krebs. Bei dem damals 33-Jährigen fing es ganz unauffällig an, mit Rückenbeschwerden und Schlafstörungen. Ein MRT brachte Gewissheit. Er leidet an einem Blutkrebs, der normalerweise bei Menschen im Alter zwischen 60 und 70 auftritt. Es folgen 15 Monate mit Chemotherapie, Bestrahlung und zwei Stammzelltransplantationen aus eigenen Zellen, viele Wochen im Krankenhaus, sechs davon streng ans Bett gefesselt – denn es war kurz vor knapp, eine falsche Bewegung und er hätte querschnittsgelähmt sein können, so angegriffen war bereits seine Wirbelsäule.

    Heute, vier Jahre später, gilt Norman als krebsfrei. Geheilt ist er aber nicht, der Krebs kann jederzeit zurückkehren. Alle drei Monate muss er zur Kontrolle. Er nimmt starke Medikamente. Und ja, es gibt Tage, an denen es ihm nicht gut geht, da fühlt er sich schwach. Aber eines ist Norman ganz wichtig: „Der Krebs soll nicht mein Leben bestimmen.“ Wie er das schafft? Er habe das Leben schon immer geliebt. Durch die Krankheit sei die Liebe noch intensiver geworden. Er konzentriere sich jetzt deutlich mehr auf das Wesentliche, Kleinigkeiten könnten ihn nicht mehr so schnell aus der Ruhe bringen. Es sei ein bewussteres, ein fokussierteres Leben, das er heute führe.

    Dass er so weit gekommen ist, führt Norman auch auf viele Menschen in seinem direkten Umfeld zurück. Da ist zuallererst seine große Liebe, sein Lebensgefährte Benjamin, der zum Zeitpunkt der Diagnose 26 Jahre alt war und Norman während der Therapie großartig umsorgt hat. „In meinen Krankenhauszeiten gab es kaum einen Tag, an dem Benni nicht bei mir war, obwohl er neben seinem Job noch studiert hat. Ich kann es nicht in Worte fassen, was das für mich bedeutet. Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist.“ Und natürlich sind da auch seine Familie und die Freunde. „Ich habe von Beginn an offen und ehrlich über meine Krankheit gesprochen. Das hat mir sehr geholfen – und ganz sicher meiner Familie und meinen Freunden auch. Tabus, Rumrederei und Beschönigen machen alles nur noch schlimmer.“ Norman ist überzeugt davon, dass ein gutes soziales Umfeld dabei hilft, den Krebs zu überstehen. Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen, sagt ein afrikanisches Sprichwort. Es braucht auch ein ganzes Dorf, um den Krebs zu überstehen.

    Zahlreiche Ärzte bestätigen diese Erfahrung. Isolation, Verschweigen, Einsamkeit – das sind typische Krebsnebenwirkungen, die die eigentliche Krankheit verschärfen. Norman setzt sich dafür ein, dass Krebskranke und ihre Angehörigen nicht allein sind, dass sie einen souveränen Umgang mit der Krankheit finden, ein gutes Leben mit dem Krebs führen können. Deshalb engagiert er sich auch bei yeswecan!cer, einer von Patienten und Angehörigen ins Leben gerufenen Initiative. Hier arbeitet Norman seit der Gründung mit, als Moderator, Inspirator und als Aktivist, der mit seiner Begeisterung ansteckt und Menschen zusammenführt. Und nicht zuletzt als Mutmacher: „Ich will etwas weitergeben von dem, was ich in den vergangenen Jahren gelernt habe. Krebs ist eine Volkskrankheit, jeder Zweite wird im Laufe seines Lebens diese Diagnose bekommen. Deshalb lasst und das Thema offensiv angehen und alles tun, um auch mit dem Krebs ein schönes Leben zu führen. Ich will Mut machen.“

    „Ich definiere Glück jetzt anders“

    Paulina Ellerbrock ist Ehefrau und Mutter, Bloggerin, Podcasterin („2 Frauen, 2 Brüste“) und yeswecan!cer-Mutmacherin. Nach ihrer Krebserfahrung will sie anderen Patienten und ihren Angehörigen zeigen, wie das Leben während und nach der Krankheit aussehen kann.

    „Schön, dass Sie da sind!“, sagte die Direktorin, als Paulina Ellerbrock, ihr Mann und ihr Sohn die Schule betraten. Sie sagte das zu jeder Familie, die zur Einschulung kam. Dass der Satz für die 33-Jährige eine besondere Bedeutung hatte, konnte sie nicht wissen: Vor Kurzem hatte Paulina nicht geglaubt, dass sie diesen Tag erleben würde. Es gab eine Zeit, da wollte sie es nicht.

    Bis zum Oktober 2017 führte die Hamburgerin ihr persönliches Bullerbü-Leben zwischen Kita und Büro, Spielplatz und Grillabend mit Freunden. „Ich habe Vollzeit gearbeitet, den Einkauf erledigt, parallel die Küche renoviert und Geschenke für die Erzieherinnen organisiert. Ich hatte einfach dieses Leistungsvermögen“, erinnert sie sich. Mit der Diagnose Brustkrebs änderte sich das schlagartig.

    Ein tripel-negatives Mammakarzinom in der rechten Brust. Kein Hinweis auf befallene Lymphknoten und Metastasen. „Am Anfang sah es ganz gut aus, da dachte ich: Im Sommer sitze ich wieder mit wallenden Haaren am Strand.“ Ein Bild, das ihr Kraft gibt, das aber schnell verblasst: Die Chemo wirkt nicht, der Tumor wächst rasend schnell, wird im Januar 2018 entfernt. Danach die zweite Chemo, ein anderer Wirkstoff. Trotzdem bildet sich ein neuer Tumor, im Mai werden beide Brüste abladiert. So lautet der medizinische Begriff für Brustentfernung, für den Abschied von einem Stück Identität. „Das war der Moment, in dem ich dachte: Ich kann nicht mehr.“

    „Nach der Operation war ich emotional erschöpft. Stoppelige graue Haare, aufgedunsen, ohne Brust, benebelt. Da erzählte mir meine Zimmernachbarin von einer Bekannten, die kurz nach der Einschulung ihres Sohnes gestorben sei, was der Junge bis heute nicht verkraftet hätte, dem ginge es so schlecht.“ Ein Schlag gegen die Achillesferse einer Mutter, die ihr Kind vor allem Unheil beschützen will, es in den vergangenen Monaten oft nicht konnte und in Zukunft vielleicht nicht mehr können würde. Die Mama-hat-Krebs-Realität, die sie so lange so tapfer ertragen hatte, es jetzt nicht mehr konnte. „Die Wahrscheinlichkeit, dass ich es nicht schaffen würde, war exorbitant groß. Ich wollte, dass es schnell geht, damit mein Kind mich nicht siechend in Erinnerung hat. Es sollte noch während der Kita-Zeit vorbei sein, damit er von seinen Erzieherinnen aufgefangen werden könnte.“

    Es kam anders. Als Paulina allein nicht mehr in den Kampfsau-Modus, wie sie ihn bezeichnet, schalten konnte, entschied ihre Ärztin: „Sie sind noch nicht am Ende.“ Weil der Tumor so aggressiv war, wurden die noch frischen Wunden bestrahlt und parallel wurde eine weitere Chemo ausprobiert. Das macht man normalerweise nicht, weil es toxisch gegeneinanderwirkt. „Sie haben mir den Krebs aus dem Oberkörper gebrannt, ich konnte mir die Haut vom Leib ziehen, alles war offen.“ Unvorstellbare Schmerzen, unvorstellbare Verzweiflung. Trotzdem würde sie es wieder tun: „Seitdem ist der Krebs weg.“ Zumindest der Tumor.

    Die Erkrankung begleitet sie weiter. „Krebs ist ein Prozess. Man ist danach nicht gesund, dafür sind die Kollateralschäden zu groß.“ Orthopädische Probleme durch die Brustentfernung, Muskelschwund, das Chronische Fatigue-Syndrom – die Nebenwirkungen stellen sie täglich vor Herausforderungen: „Ich muss mit meinen Kräften haushalten. Mich daran zu gewöhnen, war ein schmerzhafter Lernprozess.“ Weil sie es von sich selbst anders gewöhnt und weil sie für die anderen wieder gesund war. „Während der Krebserkrankung spürte ich viel Verständnis. ,Ach ja, die hat Krebs‘, hieß es da. Jetzt höre ich eher: ,Reiß dich zusammen, du musst einfach positiv bleiben!‘“

    „Die Leute erwarten, dass man jeden Tag voller Lebensmut und Dankbarkeit darüber ist, dass man es geschafft hat.“ Das geht nicht. „Wir haben weiter Monster unterm Bett. Ich hatte den aggressivsten Brustkrebs, den es gibt, die Chemo hat nicht gewirkt, ich hatte ein Rezidiv – ich weiß, in welchem Drittel der Statistik ich mich befinde.“ Dieses Wissen hat ihre Einstellung verändert: „Ich möchte einfach meinen piefigen Alltag leben“, sagt sie. „Früher brauchte ich Glück von außen. Heute ist mir mein Alltag das größte Glück. Keine Aufregung, keine Feiern, einfach nichts. Ein Samstag auf dem Sofa.“

    Die Einschulung ihres Sohnes war eine Ausnahme. Weil sie nicht mehr daran geglaubt hatte, wollte sie sie mit jeder Faser fühlen. Ein neuer Lebensabschnitt, eine neue Chance. Ihr Sohn ist nicht mehr „der mit der Mutter, die Krebs hat“. Und sie nicht mehr die Mutter, die Krebs hat. Wie alle Mütter war sie stolz auf ihr Kind, lachte und weinte. Am Ende des Tages, der ihr ein Stück Glauben zurückgebracht hatte, schrieb sie in ihr Tagebuch: „Schön, dass wir da sind!“

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    Die gemeinnützige yeswecan!cer gGmbH, 2018 vom Berliner Medienunternehmer Jörg A. Hoppe gegründet, will Krebspatienten und ihren Angehörigen die Möglichkeit geben, sich schnell, unkompliziert und direkt auszutauschen. Dafür wurde die YES!APP entwickelt. Sie bietet darüber hinaus u.a. zahlreiche Informationen, Kontaktdaten zu Beratungsstellen und die Möglichkeit, sich an medizinische Experten zu wenden. Am 26. und 27. September findet mit der YES!CON Deutschlands erste digitale Krebs-Convention unter der Schirmherrschaft von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn statt. Alle News und Informationen finden Sie unter www.yeswecan-cer.org und www.yescon.org.

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