Die hat aber dicke Beine! Die soll mal Sport machen! Sätze, die betroffenen Frauen täglich schmerzhaft begegnen.
Dass das Lipödem eine Krankheit ist, die nicht mit Diäten zu bekämpfen ist, tröstet in solchen Momenten nur wenig. Im Interview erzählt Sandra von ihren persönlichen Erfahrungen und beschreibt, welchen Schritt sie letztendlich gegangen ist.
Wann trat Lipödem bei Ihnen auf?
Ich habe nach meiner ersten Schwangerschaft im September 2012 erste Veränderungen an meinen Beinen gespürt. Dass sie sich prall anfühlten, irgendwie nicht normal. In meiner zweiten Schwangerschaft 2016/17 hat es sich noch mal deutlich verschlimmert.
Was dachten Sie, als Ihre Beine immer mehr angeschwollen sind, und was haben Sie versucht, dagegen zu unternehmen?
Ich wusste einfach nicht, was los war! Ich habe sehr oft geweint, weil mir keiner weiterhelfen konnte. Ich war knapp vier Jahre auf der Suche nach einer Erklärung. Die Ärzte sagten mir, ich solle nicht krampfhaft einen Grund dafür suchen, warum ich an Armen und Beinen so zunehme. Ich habe mich trotzdem weiter bei Ärzten vorgestellt, obwohl ich so oft abgewiesen wurde, denn ich kenne meinen Körper. Es fühlte sich einfach fremd an. Wie etwas, was nicht zu mir gehörte.
Wann sind Sie zum Arzt gegangen?
Im März 2013 war ich zum ersten Mal bei einem Hausarzt, der zu mir sagte, ich solle einfach damit klarkommen, ein bisschen Wasser in den Beinen zu haben. Ich war zu dem Zeitpunkt gerade mal 26 Jahre alt – und nein, ich wollte nicht einfach damit klarkommen. Als meine Arme regelrecht explodierten, machte ich mich weiter auf die Suche nach einer Erklärung. Mir passte keine Jacke mehr an den Oberarmen und ich wusste nicht, warum.
Was taten Sie, als ein Arzt schließlich das Lipödem feststellte?
2016 bei der Untersuchung beim Phlebologen bekam ich endlich die Diagnose: Lipödem. Hierbei füllen sich die mehr vorhandenen Fettzellen immer weiter und sind sport- und diätresistent. Ich habe Kompressionsstrümpfe verschrieben bekommen, sollte eine Nulldiät machen und den Rest im Internet lesen. Das von einem Facharzt gesagt zu bekommen, war alles andere als einfach.
Und da stand ich nun, habe es sacken lassen und angefangen zu kämpfen. Ich habe mich im Internet bei Lipödem-Gruppen angemeldet. Habe erst mitgelesen, dann Fragen gestellt. Ich fühlte mich nicht mehr alleine. Und als ich dann noch die Selbsthilfegruppe „Wendland Lily“ gefunden habe, war ich sehr froh. Ich besuchte regelmäßig die Gruppe, fand Halt, neue Freundschaften, und die Mädels berieten mich in einigen Punkten.Ich habe mir Kompressionsstrümpfe ausmessen lassen und trug sie den ganzen Tag. Ich achtete auf meine Ernährung, ging schwimmen. Ich fing an, darüber öffentlich zu reden und zu schreiben, was mir sehr guttat. Ich merkte, dass es mir einfach besser geht, wenn ich offen damit umgehe. Andere waren sichtlich interessiert und ich konnte so dieser Krankheit, die so viele Frauen betrifft, einfach mehr Aufmerksamkeit geben. Dann habe ich erfahren, dass man sich operieren lassen kann, und mich letztendlich für die OP entschieden.
Wie lief die OP ab?
Vorraussetzung war das tägliche Tragen der Kompressionsstrümpfe, um das Gewebe vorzubereiten. Und natürlich, dass die Blutwerte gut sind. In vier Terminen wurden mir im Dämmerschlaf insgesamt 20 Liter Krankhaftes aus Armen, Ober- und Unterschenkeln entnommen. Am Morgen reiste ich jedes Mal in der Fachklinik an. Das Zimmer wurde mir zugewiesen und der Zugang wurde gelegt. Der Arzt kam rein und zeichnete die Stellen an, die operiert werden sollen. Wir besprachen noch mal alles. Und er fragte mich auch, wie es mir nach meiner letzten OP erging, ob ich was auf dem Herzen habe. Dann wurde ich zum OP-Saal gebracht, wurde desinfiziert. Ich kann mich heute noch an diesen Geruch beim Einsprühen erinnern. Schrecklich. Dann war ich weg, merkte aber zwischendurch auch mal was, weinte, unterhielt mich. Aber die Erinnerungen sind verschwommen, weil ich ja im Dämmerschlaf war. Ich war nach jeder OP richtig schwach, kaputt und müde. Eine OP geschafft zu haben, war aber gleichzeitig ein so gutes Gefühl. Die ganze Anstrengung und Anspannung fiel ab, sodass ich bei jeder OP sehr viel weinen musste. Einfach, weil es endlich losging, jedes Mal einen Schritt näher – näher, gesund zu sein.
Wie fühlten Sie sich nach der OP?
Nach der ersten Liposuktion hatte es sich komisch angefühlt. Aber eher, weil ich kopfmäßig nicht hinterhergekommen bin. Auf einmal hat sich mein Körper verändert. Und ich konnte diesen Prozess nicht so schnell aufnehmen. Erst mal diese Schmerzen nach der OP, die Geduld und das Vertrauen zu haben, dass alles gut wird, war wirklich nicht einfach für mich. Außerdem war ich sehr emotional. Ich habe mir nur gedacht: Wie soll ich das denn schaffen? Das, was mich jahrelang beschäftigt hat, Tag für Tag … Soll ich einfach so loslassen? Ich konnte es zu diesem Zeitpunkt nicht glauben, dass ich es schaffe. Es dauerte wirklich bis zur letzten Liposuktion, der vierten, im Juli 2018. Da veränderte sich alles. Ich stand an einem Wendepunkt in meinem Leben.
Wie geht es Ihnen heute?
Heute fühle ich mich frei. Körperlich fühle ich mich so gut wie schon lange nicht mehr. Ich trage keine Kompression mehr, sondern Kleidung, die ich will. Ich denke nicht mehr jeden Tag an diese Krankheit und sie bestimmt endlich nicht mehr meinen Alltag.
HIER FINDEN BETROFFENE HILFE:
– Lipödem Hilfe Deutschland e.V. unter http://lipoedem-hilfe-ev.de/
– Soforthilfe bekommen Sie telefonisch unter: 0151-28298633
Selbsthilfegruppe Wendland LiLy