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    Mit kleinen Schritten

    Überlebt man dieses Ereignis, bleibt oftmals ein geschundener Körper zurück, eine ahnungslose Familie und diese Angst, es könnte nochmals passieren.

    Nach einem Herzinfarkt wird alles anders – für den Patienten und für sein Umfeld. Depressionen, Miss- und Unverständnis erschweren oftmals eine Genesung. Nun, es fühlt sich einfach alles anders an, nachdem man mit dem Tod fast sprichwörtlich von Angesicht zu Angesicht um das eigene Überleben gerungen hat.

    Klar, die Ärzte haben meist die Lage fachmännisch unter Kontrolle, aber innen drin, im Innersten des Herzinfarktpatienten – da spielt sich der Kampf seines Lebens ab: der Kampf mit sich selbst. Schuldgefühle, Trauer, Fassungs- und Hilflosigkeit und immer wieder diese Angst. Es scheint schwer, aus diesem Loch wieder herauszukommen, und doch gibt es einen Weg.

    2011 befand auch ich mich nach zwei Herzinfarkten und der daraus resultierenden Herz-OP an einem solch tiefen Punkt meines Lebens. Was half mir damals wieder ans Licht?  Wie trat die Veränderung bei mir ein? Die Reha nach der Herz-OP legte den Grundstein für die Veränderung. Es klingt einfach: Bewegung, Bewegung und nochmals Bewegung. Mit kurzen Spaziergängen fing es bei mir an.

    Unterstützt von meinem Hund, einer Französischen Bulldogge, erkämpfte ich mir meinen Lebensraum Schritt für  Schritt zurück. Alle zwei Tage quälte ich mich auf meinen Hometrainer zu Hause. Oder machte Gymnastikübungen, wie ich sie in der Rehaklinik kennengelernt hatte. Wenn man von ganz unten kommt, sind sportliche Erfolge eigentlich eine leichte Übung. Jeden Tag ging es ein bisschen mehr voran.

    Ich bin leistungsfähiger, benötige weniger Schlaf und weitere Veränderungen fielen mir immer leichter, weil mein Körper wieder Vertrauen in mich fasste.

    Das macht Mut und bereitete mich für weitere Veränderungen vor. Wenn man plötzlich lange Strecken laufen kann, über eine Stunde auf dem Ergometer durchhält, dann schafft man auch andere Dinge – da war ich mir sicher.

    Ernährung war mein nächstes Ziel. Aber auch hier fing ich langsam an: Ich verzichtete einfach mal auf den Zucker im Kaffee. Nach zwei Wochen hätte ich Kaffee mit Zucker nicht mehr runtergebracht. Ich begann irgendwann, schrittweise auf Süßigkeiten zu verzichten. Nach zwei bis drei Wochen war auch der Spuk vorüber. Leberkäse, Wurst in allen Formen strich ich nach und nach vom Speiseplan und ersetzte diese durch verschiedenste Brotaufstriche.

    Bei meiner Expedition ins eigene Ich und durch den Ernährungs-und Lebensmitteldschungel machte ich eine wertvolle Entdeckung: Gesunde Ernährung bedeutet nicht Verzicht – im Gegenteil, man entdeckt unglaublich gut schmeckende neue Variationen mit Gemüse, Gewürzen und Früchten. Natürlich esse ich noch gerne Fleisch, aber selten. Es fehlt mir nichts.

    Und mein Körper? Er registrierte die Veränderung meiner Verhaltensweise und dankte es mir. Ich bin leistungsfähiger, benötige weniger Schlaf und weitere Veränderungen fielen mir immer leichter, weil mein Körper wieder Vertrauen in mich fasste und ich in meinen Körper. Mit kleinen Schritten in der Bewegung, mit kleinen Schritten in der Ernährung fand ich in mein neues Leben zurück. Diese kleinen Schritte zu Beginn sind wichtig! Sind die Schritte zu groß, verliere ich das Gleichgewicht und falle in meiner Entwicklung zurück. Letztendlich wurde ich durch diese Art von Mutation nicht, wie oft angenommen, ein anderer Mensch. Nein, ich wurde der Mensch, der zuvor unter einer dicken Kruste von Erwartungen, Ansprüchen und Verpflichtungen verborgen war. Der Herzinfarkt brach diese Kruste regelrecht auf. Die gesteigerte Leistungsfähigkeit, die weit höher ist als vor dem Infarkt, bedeutete für mich letztendlich auch mehr Spaß bei der Arbeit, und man findet wieder zu seinen alten Hobbys zurück – bei mir das Fotografieren und Schreiben.

    Was das Schreiben angeht, wollte ich dann den Menschen auf meinem Blog mit der „Chronologie eines Herzinfarkts“  Mut machen. Diese anonym verfasste Geschichte kann man inzwischen genau so in meinem Buch „Neustart. Ein Herzinfarkt kann das Ende sein – oder der Anfang“   nachlesen – offen, ehrlich und mit einer speziellen Prise Humor.

    Angst? Angst habe ich immer noch. Aber sie ist mir ein guter Freund geworden. Sie bewahrt mich davor, wieder in alte Muster zu fallen. Der Herzinfarkt, die Angst und ich – das gehört seitdem irgendwie zusammen.

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