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Dr. med. Andrea Jungaberle

Fachärztin für Anästhesie und Notfallmedizin, Mitgründerin der OVID Praxis Berlin

Jede*r fünfte deutsche Erwachsene zwischen 18 und 65 Jahren erkrankt einmal im Leben an einer Depression – Tendenz (auch aufgrund von Corona) steigend. Die Betroffenen sind andauernd bedrückt und antriebslos. Entscheidungen fallen ihnen schwer, nichts macht ihnen mehr Freude. Hinzu kommen Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Appetitverlust, Ängste. Fast alle schwer Depressiven haben Suizidgedanken. Im Interview berichtet Dr. med. Andrea Jungaberle, Fachärztin für Anästhesie und Notfallmedizin und in Weiterbildung zur Psychotherapeutin, von einer in Deutschland neuen Psychotherapie unterstützt mit dem psychedelischen Wirkstoff Ketamin. 

Was ist Ketamin und wie wirkt es gegen Depressionen?

Das seit den 1960ern bekannte Ketamin, ein sogenanntes dissoziatives Anästhetikum (Narkosemedikament), das weder die Atmung noch den Kreislauf unterdrückt, ist ein inzwi-schen lange bewährtes Betäubungsmittel in der Notfall- und Intensivmedizin. Seine auch antidepressive Wirkung wurde vor gut 20 Jahren per Zufall entdeckt. Vergleichsweise kurzfristig lindert Ketamin depressive Spannungszustände und wirkt sogar gegen die akute suizidale Gedankenwelt von depressiven Menschen. 

Mitgründerin der OVID Praxis in Berlin, Dr. med. Andrea Jungaberle


Wie setzen Sie Ketamin therapeutisch ein?

Eine Depression lässt sich verschieden behandeln, zum Beispiel mit einer Verhaltenstherapie auf der psychosozialen oder mit Antidepressiva auf der neurobiologischen Seite. Wir bieten Patient*innen, bei denen weder das eine noch das andere erfolgreich war (sogenannte therapieresistente Depression), eine ambulante Off-Label-Behandlung mit Ketamin im Rahmen einer sogenannten Augmentierten Psychotherapie an. Ketamin deshalb, weil es neben der Schmerzbetäubung und der direkten antidepressiven Wirkung auch die Bewusstseinszustände der Patient*innen verändern kann. Diese bekommen somit die Gelegenheit, wichtige Einsichten und Erkenntnisse über sich und ihre Umwelt zu gewinnen, denn sie nehmen sich, ihre Gedanken und Gefühle unter Ketamin-Einfluss anders wahr. 

Wie läuft die Behandlung ab?

Die Behandlung mit Ketamin betten wir in eine intensive Vor- und Nachbereitungsphase ein. Vorab schulen wir die*den Patient*in dahin gehend, wie Ketamin wirken kann und was bei der Behandlung zu erwarten ist (Stichworte: Psychoedukation und Erwartungsmanagement). Während der eigentlichen Behandlung mit Ketamin kommt der*die Patient*in über fünf bis sechs Wochen zweimal wöchentlich zu uns, um sich unter steter psychotherapeutischer Begleitung Ketamin verabreichen zu lassen (1. Wochentermin) stets gefolgt von einer sogenannten Integrationssitzung (Nachbesprechung) als 2. Wochentermin, in der das am Vortag unter Ketamingabe Erlebte therapeutisch ausgewertet und eingeordnet wird. Dem schließen wir eine zwei- bis dreiwöchige Phase mit Psychotherapie an. Zudem erheben wir später regelmäßig, wie es dem*r Patient*in ergeht. 

Ein Behandlungszimmer für Psychedelisch-Augmentierte Psychotherapie der OVID Praxis in Berlin


Worin liegen die Chancen von Ketamin in der Psychotherapie bei Depressionen?

Depressionen können viele Ursachen haben, oft ist eine Kombination verschiedener psychosozialer und neurobiologischer Faktoren beteiligt. Manche Auslöser sind vorbewusst  und nur schwer zugänglich – sowohl für den*die Depressive*n selbst als auch für seine Behandler*innen. Dennoch verursachen die unbewusst gespeicherten Informationen (Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen) immer wiederkehrende, die Depression befeuernde  Verhaltensmuster, aus denen die*der Depressive ohne Hilfe kaum ausbrechen kann. Ketamin ermöglicht eine Begegnung mit diesen unbewussten oder vorbewussten Prozessen. Das gestattet es den Patient*innen, unterdrückte Emotionen erlebbar zu machen, einen Perspektivwechsel zu vollziehen, Dinge neu zu bewerten und eingefahrene Verhaltensmuster aufzubrechen. Entsprechend eingebunden in die Psychotherapie lernt der*die Depressive mit Ketamin nachhaltig.  

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