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    Spastik nach Schlaganfall: Botulinumtoxin A nicht vergessen!

    Foto: paulaphoto via Shutterstock

    Botulinumtoxin A (BoNT A) ist vielen immer noch vor allem als Mittel gegen Falten bekannt. Doch bereits seit den 80er-Jahren wird es medizinisch eingesetzt – seit einiger Zeit auch bei Spastik nach Schlaganfällen. Prof. Dr. med. Tobias Bäumer, Neurologe am UKSH, Campus Lübeck, spricht darüber im Interview.

    Prof. Dr. med. Tobias Bäumer

    Neurologe, stellvertretender Leiter des Instituts für Systemische Motorikforschung am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck

    Spastik tritt unter anderem als Folge eines Schlaganfalls auf. Wie äußert sich das?  

    Spastik als Folge eines Schlaganfalles ist häufig mit Schmerzen, Steifheit, Muskel- und Sehnenverkürzungen und auch Gelenkkontrakturen verbunden. Die Folgen sind Fehlhaltungen der betroffenen Extremitäten, verminderte Lebensqualität sowie eingeschränkte Selbstständigkeit.

    Wie viele Betroffene gibt es? 

    Es gibt wenige Daten dazu. Aus dem, was man weiß, darf man davon ausgehen, dass rund zehn Prozent der Patienten nach einem Schlaganfall eine Spastik entwickeln. Eine frühzeitige Erkennung und Behandlung einer Spastik nach einem Schlaganfall kann nicht nur die Komplikationen reduzieren, sondern auch Alltagsfunktionen und Unabhängigkeit der betroffenen Patienten verbessern. 

    Wie wird Spastik in der Regel behandelt und was hat das für Konsequenzen für die Betroffenen? 

    Man muss den Patienten als Ganzes sehen. Neben der Spastik mit einer Lähmung und der häufigen Folge einer eingeschränkten Mobilität leiden Patienten auch unter Gefühlsstörungen und Schmerzen. Zuerst kommt also immer die Basistherapie, die aus Physio- und Ergotherapie besteht, um den Patienten wieder mobiler zu bekommen, in dem Umfang, der möglich ist. Zudem gibt es medikamentöse Möglichkeiten der Behandlung. Auch orthopädische Schienen und andere Hilfsmittel können und sollten eine Unterstützung in der Spastiktherapie sein. In aktuellen nationalen und internationalen Leitlinien wird zudem bei fokaler und multifokaler Spastizität eine Behandlung mit BoNT A empfohlen. Allerdings zeigen Untersuchungen zur Versorgungslage von Patienten mit einer Spastik, dass evidenzbasierte Therapien wie BoNT A hierzulande noch zu selten eingesetzt werden. Es besteht diesbezüglich noch eine Unterversorgung. Diese Möglichkeit der Behandlung muss mehr ins Bewusstsein der behandelnden Ärzte gelangen, um eine optimale Versorgung der Patienten zu gewährleisten. 

    Wie sieht eine leitliniengerechte Therapie für Patienten aus?

    Zuerst braucht der Behandler die Kenntnis über alle therapeutischen Möglichkeiten, aber auch die Grenzen. Er muss den Patienten ganzheitlich sehen und schauen, welche therapeutischen Module in jedem individuellen Fall zu ziehen sind, um für den Patienten das bestmögliche funktionelle Ergebnis zu erreichen. Hier muss bei den Behandlern immer auch an BoNT A gedacht werden.

    Nennen Sie bitte ein Beispiel.

    BoNT A kann eine Schwäche der Muskulatur leider nicht verbessern. Aber es hilft, beispielsweise spastisch verspannte Hände oder Füße zu lockern und wieder in eine bessere Haltung zu bringen. Das kann z. B. das Gehen oder die Körperpflege erleichtern oder Schmerzen reduzieren. Einige Patienten empfinden die Spastik auch als sozial stigmatisierend, weil man ihnen den Schlaganfall dadurch ansieht, z. B. gehen Sie mit einem stark gebeugten Arm oder einer gefausteten Hand. Diese Stellung mit BoNT A zu bessern, kann für Patienten sehr befreiend und hilfreich sein und macht BoNT auch hier zu einem wichtigen Therapiebaustein.

    Doch Studien zeigen, dass nur zehn Prozent der Betroffenen auch mit BoNT therapiert werden. Woran liegt das? 

    Viele Betroffene werden bei Allgemeinmedizinern versorgt. Diese bieten eine BoNT-Therapie in der Regel nicht an. Aber auch viele Neurologen haben diese Expertise nicht, da dies nicht Teil der Ausbildung ist. Daher ist es für viele der einfachere bzw. altbewährte Weg, orale Antispastika zu verabreichen. Die haben jedoch den Nachteil, dass sie nicht so gut wirken und wir mittlerweile wissen, dass für die fokale Spastik BoNT A die Therapie der ersten Wahl ist. Im Sinne einer leitliniengerechten Therapie sollten alle Module, also Physio- und Ergotherapie, Hilfsmittelversorgung sowie ein ausgewogenes Verhältnis von oralen Antispastika und BoNT A, eingesetzt werden. Dass nur rund zehn Prozent davon profitieren, ist deutlich zu wenig, und wir denken, dass deutlich mehr Patienten mit einer leitliniengerechten Behandlung versorgt werden sollten. 

    Was braucht es dafür?

    Eine bessere Infrastruktur für die Behandlung der Patienten. Wichtig ist, dass viel mehr Aufmerksamkeit für das Thema geschaffen wird, damit Behandler ihre Patienten an die richtigen Adressen verweisen, wo solche Therapien möglich sind, aber auch die Voraussetzungen geschaffen werden, dass mehr Behandler zur Verfügung stehen.

    Was raten Sie Patienten mit einer Spastik nach Schlaganfall? 

    Wenn ein Patient merkt, dass er seine Therapieziele nicht erreicht, sollte er mit seinem behandelnden Arzt und Therapeuten sprechen, um prüfen zu lassen, ob eine Vorstellung bei einem Spastikspezialisten sinnvoll ist. Denn dort sind meistens alle Module der Behandlung bekannt und man kann den Patienten beraten. 

    Was kann/muss sich in Zukunft ändern, damit mehr Patienten mit einer Spastik nach Schlaganfall von einer Botulinumtoxin-A-Therapie profitieren können?

    Es muss ein integraler Bestandteil der Ausbildung von Menschen sein, die Betroffene versorgen, also im Bereich der Reha-Medizin, der Neurologie, Physio- und Ergotherapie. In manchen Bundesländern ist die Behandlung von Spastik mit BoNT A seit Kurzem Teil der Weiterbildungsordnung zum Facharzt für Neurologie, was mich sehr gefreut hat – das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. 

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