Home » Schmerz » Neue Behandlungskonzepte bei Migräne
  • Schmerz

    Neue Behandlungskonzepte bei Migräne

    Foto: Tunatura via Shutterstock

    Trigger individuell erkennen und managen,statt möglichst viel zu vermeiden: Migräne kann das Leben Betroffener stark beeinträchtigen. Aus diesem Grund versuchen viele Migränepatienten Attacken so gut es geht zu vermeiden, indem sie sich mit möglichen Auslösern (sog. Triggern) beschäftigen und in eine Art Spirale der Vermeidung rutschen. Ein erfolgreiches Trigger-management ist aber ganz individuell und muss nicht bedeuten, alle möglichen Auslöser partout zu umgehen. Wir sprachenmit Dr. Charly Gaul von der DMKG, wie ein individuelles Triggermanagement aussehen kann.

    Priv.-Doz. Dr. med. Charly Gaul

    Generalsekretär der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) c/o Kopfschmerzzentrum Frankfurt

    Herr Dr. Gaul, Migräne ist ein in Deutschland weit verbreitetes Krankheitsbild. Wie kann man sie von „normalen“ Kopfschmerzen abgrenzen?

    Der Kopfschmerz vom Spannungstyp, ein dumpf-drückender beidseitiger Kopfschmerz ohne Begleitsymptome, gilt als der häufigste Kopfschmerz in der Bevölkerung. Die Kopfschmerzerkrankung, die jedoch am häufigsten zum Arzt führt, ist die Migräne: Hier tritt der Kopfschmerz, zumindest im Erwachsenenalter, meist halbseitig auf und ist von Übelkeit, bei einem Teil der Patienten auch von Erbrechen sowie sehr häufig von Licht- und Geräuschempfindlichkeit, oft auch von Geruchsempfindlichkeit begleitet.

    Ganz charakteristisch für Migränekopfschmerzen ist, dass diese bei körperlicher Anstrengung zunehmen und dann auch in einen pochenden Schmerz übergehen. Außerdem geht die Migräne mit einem deutlichen Rückzugs- und Ruhebedürfnis einher. Bei etwa 15-20% der Betroffenen besteht eine Aura, d.h. meist kommt es vor den Kopfschmerzen zu neurologischen Reiz- oder Ausfallssymptomen. Patienten sehen am häufigsten ein Flimmern vor Augen, das sich langsam über das Gesichtsfeld ausbreitet. Auch Wortfindungsstörungen oder eine aufsteigende Taubheit, z. B. in den Fingerspitzen beginnend und langsam den Arm bis zum Gesicht hochwandernd, können auftreten. Dieser Auraphase kann sogar noch eine Ankündigungsphase (Prodromalphase) vorausgehen, in der Betroffene an heftigem Gähnen, plötzlich einsetzender Müdigkeit oder Heißhungerattacken merken, dass sich eine Migräneattacke ankündigt.

    Kurz zusammengefasst: Migräne ist mehr als nur ein Kopfschmerz, es handelt sich um eine komplexe neurologische Erkrankung, an der mehrere Hirnregionen und unterschiedliche Botenstoffe beteiligt sind.

    Der Schweregrad und die Häufigkeit von Migräneattacken sind von Patient zu Patient sehr unterschiedlich. Wann spricht man von einer leichten, wann von einer mittleren oder gar schweren Migräne?

    Anhand der Häufigkeit von Migräneanfällen unterscheidet man eine episodische Migräne und eine chronische Migräne. Bei einer episodischen Migräne treten wiederholt Attacken auf – jedoch insgesamt an weniger als 15 Tagen im Monat, in dieser Gruppe kann man Patienten mit 8-14 Migränetagen pro Monat abgrenzen. Leidet jemand an 15 oder mehr Tagen im Monat an einer Migräne, wird von einer chronischen Migräne gesprochen. Sicherlich kann man die chronische Migräne als schwere Kopfschmerzerkrankung bezeichnen. Die Einteilung in leicht, mittelstark oder schwer kann jedoch auch auf die Schmerzintensität angewendet werden. Dabei bewerten Betroffene das Ausmaß ihrer Attacken aufgrund der Begleitsymptome, der Schmerzintensität und der Attackendauer in diesen Kategorien. Attacken einer Migräne, die von einer Aura begleitet werden, sind häufig stärker als solche, die ohne Aura auftreten. Besonders schwere Attacken werden bei Frauen beobachtet, wenn die Attacken durch die Regelblutung getriggert werden. Diese Attacken dauern häufig länger an, Begleitsymptome und Schmerzintensität können höher sein.

    Auch die Auslöser von Migräneattacken können sich stark unterscheiden: Wie findet man als Betroffener heraus, welche Trigger eine Attacke auslösen können?

    In der Literatur werden sehr viele Migränetrigger berichtet, jedoch treffen sie immer nur auf einen Teil der Betroffenen zu. Bei Frauen ist der Hormonzyklus mit dem Abfall des Östrogens zur Regelblutung ein starker Migränetrigger. Auch Alkohol kann häufig Migräneattacken auslösen. Sehr häufig werden Stress und Stressabfall als Trigger genannt. Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus oder das Auslassen von Mahlzeiten können ebenfalls Attacken auslösen. Migränebetroffene werden aber auch unabhängig von Triggern Attacken erleiden, es ist keinesfalls so, dass man, „wenn man alles richtig macht“, keine Migräneattacken mehr erleidet. Man sollte also nicht immer einen Fehler bei sich oder am Verhalten suchen, das stresst und reduziert die Lebensqualität zusätzlich. Früher sah man Nahrungsmittel wie Schokolade als Auslöser von Migräneattacken an, heute ist recht klar, dass Betroffene die Schokolade verschlingen, weil sie Heißhunger als Vorsymptom vor der Migräne haben. Neue Behandlungskonzepte gehen von einem Vorgehen aus, in dem die Betroffenen versuchen, mit ihrer Migräne gut zu leben und Auslösesituationen und Trigger gut zu managen, statt zu versuchen, ständig Trigger zu vermeiden.

    Wie kann ein erfolgreiches Triggermanagement aussehen, um die Lebensqualität Betroffener zu steigern?

    Zunächst gilt es zu überprüfen, ob vermeintliche in Broschüren oder im Internet genannte Auslöser überhaupt individuell zutreffende Trigger sind. Solche Dinge können sonst schnell zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden: wenn man morgens die Zeitung aufschlägt und liest „Heute ist Migränewetter“, dann kann das eine Attacke begünstigen.

    Außerdem hängt die Wirkung von Triggern mit der Migränebereitschaft des Gehirns zusammen (Migräneschwelle). In einer guten Phase kann es durchaus sein, dass Betroffene ein Glas Rotwein trinken können, ohne dass ein Migräneanfall entsteht. Ziel ist es also, sich mit dem Thema viel individueller zu beschäftigen und nicht möglichst viel zu vermeiden.

    Es ist wichtig, die beginnende Migräneattacke als Signal des Gehirns zu verstehen, dass man eine Pause braucht.

    Was kann Betroffenen abgesehen von einem individuellen Triggermanagement noch helfen, um Migräneattacken vorzubeugen?

    Einen guten Wirksamkeitsnachweis haben regelmäßiges Ausüben eines Entspannungsverfahrens, bei dem das Gehirn, das bei Migränepatienten für Überlastung empfindlich ist, zur Ruhe kommen kann, sowie Ausdauersport. Sinnvoll ist also ein ausgewogener Wechsel zwischen Aktivität und Ruhephasen. Zum Beispiel kann man den Sommerurlaub „in Ruhe angehen“. Am letzten Arbeitstag noch alles erledigen, dann schnell Zuhause packen und in den Urlaub fliegen: Das führt vielleicht zu einem Tag mehr für die Urlaubsreise, jedoch auch zu einem hohen Risiko, die ersten zwei Tage durch eine starke Migräneattacke zu verlieren, da durch die Überlastung, Stress und den dann einsetzenden Stressabfall die persönlichen Ressourcen überschritten werden.

    Wenn man merkt, dass eine Migräneattacke beginnt, ist es sinnvoll, rechtzeitig die akute Schmerzbehandlung einzunehmen, da bei frühzeitigem Einsatz die Wirkung besser ist. Genauso wichtig ist es aber auch, die beginnende Migräneattacke als Signal des Gehirns zu verstehen, dass eine Pause notwendig ist. Die gute Wirksamkeit einer Schmerzbehandlung sollte nicht primär darauf verwendet werden, den Tag noch voller zu packen.

    Weitere Informationen

    Weiterführende Informationen finden Sie auf der Website der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft unter www.dmkg.de

    Nächster Artikel