Chronische Depressionen wurden jahrelang rein medikamentös oder psychologisch behandelt. Dr. med. Peter Tonn, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und geschäftsführender Arzt des Neuropsychiatrischen Zentrums Hamburg, setzt immer öfter mit seinem Team auf die repetitive Transkranielle Magnetstimulation (rTMS). Im Gespräch erklärt er den Unterschied zu anderen Therapien und den Erfolgschancen für Patienten.
Dr. med. Peter Tonn, Geschäftsführer
Neuropsychiatrisches Zentrum Facharzt für Neurologie und Psychiatrie
Herr Dr. Tonn, können Sie unseren Lesern einmal erklären was rTMS bedeutet?
Die repetitive Transkranielle Magnetstimulation (rTMS) ist ein Verfahren, das darauf beruht, dass durch magnetische Induktion in elektrischen Leitern Strom erzeugt werden kann. Ähnlich wie bei einem Dynamo. Da Nervenzellen wie biologische elektrische Leiter funktionieren, können sie ebenfalls durch einen Magneten von außen durch den Schädel stimuliert werden. Es wird an einem Magneten ein starkes, fokussierbares Magnetfeld an- und ausgeschaltet, welches auf einzelne Regionen des Gehirns oder Schaltzentren von Nervenzellen punktgenau im Gehirn gerichtet werden kann.
Welche Chancen eröffnet die rTMS bei chronischen Depressionen?
Unser Gehirn ist eine Problemlösemaschine und das ist in den meisten Fällen im Alltag gut so. Wenn sich allerdings die Mechanismen verselbständigen kann dies selbst Probleme schaffen, da wir im Denken inflexibel werden und nicht mehr aus Gedankenkreisen oder Einengungen heraus kommen können. So kann aus einer akuten Depression eine chronische Depression werden. Mit der rTMS wird erfolgreich versucht, eine Gruppe von Nervenzellen oder Nervenzentren aus ihren fixierten Netzwerken, die die chronische Depression bedingen, herauszuführen. Damit kann man die Nervenzellen und Netzwerke zu neuer Flexibilität bringen.
Ist rTMS auch bei anderen psychologischen Krankheiten anzuwenden?
Sie ist bei Angst- und Zwangsstörungen oder psychischen Traumata erfolgreich einsetzbar. Auch bei neurologischen Indikationen wie Parkinson oder Schlaganfällen kommt die rTMS ebenfalls mit Erfolg zum Einsatz.
Welche Vorteile hat rTMS gegenüber anderen Therapieformen?
Man hat weniger Nebenwirkungen und kann oft komplett oder zumindest nahezu komplett auf psychopharmakologischen Behandlungen verzichten. Die rTMS kann zwar anstrengender sein als eine psychologische Therapie, ist aber durch die nur vier bis fünf Wochen lange Behandlungsdauer deutlich komprimierter.
Wie geht es einem Patienten nach einer Magnetstimulation?
Während der Behandlung ist es unangenehm. Es können Muskelzuckungen am Kopf durch die elektrischen Impulse entstehen; diese sind für Patienten ungewohnt. Das Magnetfeld spürt man durchaus so, als würde jemand mit dem Fingernagel auf die Kopfhaut klopfen, dieses Klopfen ist auch laut. Dies allerdings nur unmittelbar in der Behandlungszeit von ca. 25 Minuten. In den ersten drei, vier Tagen kann es deshalb in manchen Fällen für einige Stunden zu Kopfschmerzen im Sinn von Spannungskopfschmerzen, kommen, aber dies hört nach den ersten Behandlungstagen auf. Die Nebenwirkungen beschränken sich zudem nahezu ausschließlich auf die Zeit während der Behandlung, nachwirkende Nebenwirkungen wie bei Medikamenten etwa sind nicht zu erwarten.
Kann rTMS als alleinstehende Therapie nachhaltig helfen oder ist eine zusätzliche Therapie in Form von Medikamenten, Psychotherapie etc. in der Verbindung sinnvoll?
Man kann die rTMS alleinstehend nutzen und das ist dabei durchaus nachhaltig. Es kann bei einem Teil der Patienten nach sechs bis zwölf Monaten zu einem Rückfall kommen. In solchen Fällen kann man noch einmal eine kurze rTMS-Behandlungssequenz anschließen. Generell ist allerdings der prozentuale Anteil der erfolgreich behandelten Patienten je nach Studie, höher als bei anderen Therapieformen.
Wie kann man sich den Therapievorgang vorstellen?
Patienten bekommen für vier bis fünf Wochen alle fünf Werktage eine Behandlung von ca. 25 Minuten. Dabei werden dann gewisse Bereiche des Gehirns, die vorher festgelegt worden sind, stimuliert. Erste Ergebnisse bemerkt man durchaus schon nach zwei bis drei Wochen. Wir prüfen die Entwicklung durch Gespräche und psychologische Testungen im Verlauf.
Über die Hälfte der Patienten merken sich abschwächende Depressionsgefühle, mehr Antrieb, weniger Ängste. Falls erfolgreich behandelte Patienten einen Rückfall bemerken, folgt eine Auffrischung der Behandlung. Das betrifft etwa 10-30 % der Patienten im Zeitraum von etwa 12 Monaten. Die Nachbehandlung ist in der Regel viel kürzer und mit geringerer Frequenz. Über 60-70% der Patienten bemerken eine langdauernde Besserung, sie sind stabil von den Symptomen und Belastungen der Depression befreit.