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    Gentherapie bei Hämophilie A und B – Prof. Dr. Johannes Oldenburg im Interview

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    Hämophilie ist nach wie vor eine unheilbare Krankheit. Wir haben Prof. Dr. Johannes Oldenburg vom Universitätsklinikum Bonn gefragt, was sich Betroffene von der Gentherapie bei Hämophilie A und B erhoffen können.

    Prof. Dr. Johannes Oldenburg

    Direktor des Instituts für Experimentelle Hämatologie und Transfusionsmedizin des Universitätsklinikums Bonn (UKB)

    Seit August 2022 ist in Deutschland die erste Gentherapie für Patienten mit Hämophilie A zugelassen. Seit Februar 2023 ist auch eine Gentherapie für Patienten mit Hämophilie B zugelassen. Was ist der größte Unterschied zu den bisherigen Therapiemöglichkeiten?

    Bei den schwereren Verlaufsformen der Hämophilie A und der Hämophilie B ist die wichtigste Therapie die vorbeugende regelmäßige Gabe von Gerinnungsfaktoren/ Medikamenten, welche die Funktion des fehlenden Gerinnungsfaktors ersetzen, um einen Mindestspiegel der Gerinnungsfaktoraktivität nicht zu unterschreiten. Diese prophylaktischen Medikamentengaben werden durch die Gentherapie ersetzt.

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    Wie unterscheidet sich die Gentherapie der Hämophilie A von der kürzlich zugelassenen Gentherapie der Hämophilie B?

    Die Gentherapie der Hämophilie A unterscheidet sich in einigen wichtigen Punkten von der Gentherapie der Hämophilie B: Die Wirkung der Gentherapie bei Hämophilie A hält im Durchschnitt fünf bis acht Jahre an. Bei Hämophilie B hält die Wirkung über zehn Jahre an. Der Faktor IX (FIX) der Hämophilie B wird in den Leberzellen (Hepatozyten) gebildet. Der Faktor VIII (FVIII) bei der Hämophilie A wird in spezialisierten Endothelzellen gebildet, die in großer Zahl in den Lebergefäßen vorkommen.

    Ziel der Gentherapie bei Hämophilie A und Hämophilie B ist die Leberzelle. Dort werden nach der Gentherapie FVIII und FIX gebildet, d.h. FIX an seinem natürlichen Bildungsort, FVIII jedoch an einem anderen als seinem natürlichen Bildungsort. Es ist möglich, dass dies eine der Ursachen für die Unterschiede in der Gentherapie zwischen Hämophilie A und Hämophilie B ist. Lässt die Wirkung der Gentherapie nach, kehren die Patienten zur Prophylaxe mit den bisherigen Präparaten zurück.

    Können Sie uns die Wirkweise schildern? Wie kann man sich als Laie den „Eingriff“ vorstellen?

    Bei der Gentherapie wird ein „gesundes“ Gen in eine Virushülle, hier von einem sogenannten Adenoassoziierten Virus (AAV), verpackt. Es erfolgt dann eine intravenöse Infusion einer großen Zahl (viele Billionen bis mehrere Billiarden) dieser „Genpakete“, die zwei bis drei Stunden dauert.

    Die Virushülle bringt das Gen in die Leberzelle, wo es zusätzlich als Erbinformation in sogenannte Episomen, die man sich als ringförmige MiniaturChromosome vorstellen kann, in der Leberzelle verbleibt. Das Gen kann dann in ein Protein, bei der Hämophilie A der Gerinnungsfaktor VIII, bei der Hämophilie B der Gerinnungsfaktor X, übersetzt werden, das anschließend von der Leberzelle in die Blutbahn abgegeben wird.

    Die Gentherapie verschafft den Betroffenen eine gewisse Freiheit und größere Unabhängigkeit von der Hämophilie.

    Die intravenöse Infusion kann ambulant erfolgen und verläuft in der Regel ohne Nebenwirkungen. Nach etwa zwei bis drei Wochen lässt sich eine Gerinnungsaktivität bei den Patienten messen, die dann in der Folgezeit noch weiter ansteigt und die bisherige Prophylaxe mit anderen Medikamenten ersetzt.

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    Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit der Gentherapie gemacht?

    Bei den beiden Patienten (einer mit Hämophilie A und einer mit Hamöphilie B), die wir bisher in klinische Studien eingeschlossen haben, waren die Ergebnisse sehr gut. Der Patient mit Hämophilie A hat nach fast vier Jahren immer noch eine normale Faktor VIII-Aktivität. Der Patient mit Hämophilie B hat seit eineinhalb Jahren eine stabile FIX-Aktivität im Bereich einer leichten Hämophilie B. Beide Patienten haben nach der Gentherapie keinen Gerinnungsfaktor mehr intravenös erhalten. Beide Patienten sind sehr zufrieden und würden sich jederzeit wieder für eine Gentherapie entscheiden.

    Kann die Gentherapie die konventionelle Therapie vollständig ersetzen?

    Die Gentherapie kann die konventionelle Therapie nicht vollständig ersetzen. Die Gentherapie ersetzt die regelmäßige Prophylaxe. Nach größeren Verletzungen, Blutungen oder Operationen werden die meisten Patienten weiterhin Gerinnungsfaktoren benötigen.

    Hämophilie ist nach wie vor eine unheilbare Krankheit. Was können Betroffene von einer Gentherapie erwarten?

    Hämophilie A und Hämophilie B können durch die Gentherapie nicht geheilt werden. Aber die Gentherapie ersetzt die regelmäßige prophylaktische Behandlung und verschafft den Betroffenen damit eine gewisse Freiheit und größere Unabhängigkeit von der Hämophilie.

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