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    „Ich fühle mich schön, so wie ich bin.“

    Bereits seit Ihrem 16. Lebensjahr leiden Sie an der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung Morbus Crohn. Können Sie bitte kurz erklären, was man unter der Erkrankung versteht?

    Morbus Crohn ist eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung, das bedeutet, dass der Magen-Darm-Trakt sich immer wieder entzündet. Die Erkrankung verläuft in Schüben, was sie unberechenbar macht. Von heute auf morgen kann sich der Gemütszustand ändern. Symptome bei mir waren Blut im Stuhlgang, Durchfall und unerträgliche Bauchschmerzen. An sich fing die Erkrankung ziemlich harmlos an, doch schneller als üblich ging es mir schlagartig schlechter. Zuerst hatte ich nur Schleim im Stuhlgang, dann kam Blut hinzu und schlussendlich die Schmerzen. Kurz gesagt, ist Morbus Crohn eine „Scheiß“-Erkrankung.

    Wie sind Sie anfangs mit der Diagnose umgegangen, und wie hat sie sich auf Ihr Leben ausgewirkt?

    Zuerst bekam ich die Diagnose Colitis Ulcerosa, ich behaupte mal, das ist die kleine Schwester von Morbus Crohn. Genau so fies, spielt sich aber „nur“ im Dickdarm ab. Da ich anfangs keinerlei Schmerzen hatte und absolut nicht wusste, was diese Erkrankung mit einem machen kann, nahm ich die Diagnose sehr gut entgegen. Ich dachte, mit ein bisschen Blut im Stuhlgang kann man ja noch leben.

    Doch schnell änderte sich das Bild. Die Medikamente, die ich nahm, schlugen nicht richtig an, und somit wurden die Schmerzen täglich schlimmer. Ich war gerade mal 16 Jahre, und dank des Kortisons fing mein Körper an, sich zu verändern. Natürlich fiel das meinem Umfeld auf, so oft bekam man mich ja nicht mehr zu Gesicht, und deshalb durfte ich den ein oder anderen Spruch einstecken. Nicht nur dass die Schmerzen mich zu Hause gefesselt haben, weil ich immer ein Klo in der Nähe haben musste, mein Körper litt auch optisch sehr unter dieser Erkrankung. Ich schwemmte auf, hatte das bekannte Mondgesicht und bekam Tag für Tag immer größere Dehnungsstreifen.

    Ich musste entscheiden, was ich mit meinem Körper mache, was ich ihm zumute und was aus ihm werden soll.

    Ich muss sagen, diese Erkrankung hat mich auf ganzer Linie gefordert. Es ist normal, an einen Punkt zu kommen, an dem man nicht mehr kann oder will. Ich war mehr im Krankenhaus als zu Hause und bekam innerhalb eines Jahres einen künstlichen Darmausgang. Ich hatte einen epileptischen Anfall, als Nebenwirkung der Medikamente, und hatte einmal Wasser in der Lunge, weshalb ich mich zwei Monate lang zurück ins Leben kämpfen musste.

    Einige Monate später, nach Anlegen der Stomaanlage, musste dann der Dickdarm entfernt werden, er war zu entzündet, zu kaputt, einfach nicht mehr brauchbar. Jedoch gesundheitlich betrachtet, war es die richtige Entscheidung. Seit der Entfernung des Dickdarms habe ich keinerlei Einschränkungen mehr, was Entzündungen im Darm angeht.

    Technisch gesehen war aber noch ein weiter Weg vor mir. Ich kam mit dem Stoma (künstlicher Darmausgang) gut zurecht und ich hatte keine andere Wahl, als mich damit anzufreunden! Doch rückwirkend betrachtet kann ich sagen: Zum Glück hat die Stomaanlage nie richtig funktioniert. Denn jetzt habe ich den sogenannten Kock-Pouch, und mit diesem lebt es sich einfach einfacher. Kurz gesagt, ist der Kock-Pouch ein aus dem Dünndarm geformtes Reservoir, das den Stuhlgang von innen sammelt. Ein ebenfalls aus dem Dünndarm geformtes Ventil verhindert das kontinuierliche Auslaufen des Stuhlgangs, und somit klebt nur noch ein Pflaster am Bauch. Mehrmals am Tag muss ich dann durch die Bauchdecke einen Katheter einführen, um damit die Kocksche Tasche zu leeren.

    Ich musste viele Entscheidungen treffen. Musste entscheiden, was ich mit meinem Körper mache, was ich ihm zumute und was aus ihm werden soll. Wenn man mich heute fragt, was ich anders gemacht hätte, dann würde ich klar sagen: Nichts. Ich bin an dieser Erkrankung gewachsen, und auch wenn ich einige Dinge verpasst habe und vieles ertragen musste, bin ich in anderen Dingen wiederum reifer geworden!

    Foto: Anna Franz Fotografie

    Ein künstlicher Darmausgang ist etwas, worüber man nicht gern spricht. Wie haben Freunde und Familie reagiert?

    Das Stoma war in meinem Umfeld kein Problem. Ich bin generell ein sehr offener Mensch, und es stimmt, dass sich viele Leute für einen Darmausgang schämen. Man hat ständig Angst, dass etwas unterläuft oder dass man in der Menge plötzlich in seiner eigenen Scheiße steht oder man unangenehm riecht. Ich habe nur gemerkt, dass es mir einfach besser ging, wenn die Leute wussten, was ich habe, denn dann musste ich mich nicht verstecken oder mich schämen! Ich mochte einfach das Gefühl nicht, ein Geheimnis mit mir rumzuschleppen.

    Wenn man sich selbst lieben kann, dann können es auch andere.

    Wenn jeder wusste, was Sache ist, dann wusste ich auch, wenn etwas passieren sollte, muss ich mich nicht mehr erklären. Natürlich kamen dann oft Fragen, aber das ist normal, seltsame Reaktionen habe ich nie erhalten. Im Gegenteil: Ich bin eigentlich nur auf Neugier gestoßen, und das ist etwas, das alles andere als schlimm ist. Im Endeffekt bin ich immer der gleiche Mensch geblieben, und Menschen, die einen abstoßen sollten, nur weil man jetzt eine „Behinderung“ hat, sind eh niemals das Umfeld, das man haben sollte.

    Mein damaliger Freund fand mich immer noch sexy, und an unserer Beziehung hatte sich wegen dieses Dings auch nichts geändert. Viele bezeichnen es als Glück, wenn man einen Partner hat, der das akzeptiert. Aber das hat nichts mit Glück zu tun! Wenn man sich selbst lieben kann, dann können es auch andere, und ich kann behaupten, dass die Männer da gar nicht so abgeschreckt drauf reagieren, wie man zuerst vermutet. Überzeuge mit deiner Person und es ist egal, was da an deinem Bauch noch ist.

    Ihr Projekt Grenzenlos erfreut sich immer mehr Follower und hat ein sehr junges Publikum. Was hat Sie dazu gebracht, mit Ihrer Krankheit an die Öffentlichkeit zu gehen?

    Ich selbst habe damals keinen gehabt, mit dem ich mich identifizieren konnte. Ich war immer alleine und kaum im Austausch. Als sich mein Selbstwertgefühl wieder steigerte, beschloss ich, meinen Blog zu gründen. Ich fing immer mehr an, Shootings zu machen, bei denen ich bewusst meine Narben in Szene setzte.

    Ich fand mich schön, so wie ich bin, und fand es umso schlimmer zu sehen, wie viele sich mit weitaus weniger Makeln nicht schön finden konnten. Mein Ziel war es zu zeigen, dass es nicht darauf ankommt, was man hat, sondern was man aus dem macht, was man hat. Deshalb haben wir auch das Projekt Grenzenlos ins Leben gerufen. Gemeinsam sind wir alle stark!

    Welchen Tipp haben Sie für Angehörige und Betroffene einer CED?

    An alle Betroffenen: So schlimm das alles auch ist, versucht, in den schmerzfreien Momenten so viel zu lachen, wie es geht. Weinen ist normal. Sich in einer Phase zu befinden, in der man nicht mehr will, auch. Aber das Leben geht weiter. Wir müssen das Beste daraus machen. Das haben wir alle einfach verdient. Ich weiß, es ist schwer, wenn man nur auf dem Klo sitzt oder im Krankenhaus ist, aber es wird immer diese kleinen Momente geben, in denen man Kraft schöpfen kann und muss!

    Seid nicht zu hart zu eurem Umfeld und vor allem nicht zu euch selbst. Man kann nicht erwarten, dass ein Außenstehender all das versteht, denn diese Erkrankung ist alles andere als einfach und verständlich. Oftmals meinen sie es nur gut mit ihren Ernährungstipps und Empfehlungen. Denkt immer daran, die Menschen, die euch lieben, wollen nur das Beste für euch. Und auch wenn es nervt, seht es mal so, sie befassen sich mit eurer Erkrankung, was darauf schließen lässt, dass ihr ihnen nicht egal seid. All das musste ich auch lernen. Es ist wichtig, öfter Danke zu sagen. Danke zu sich selbst und Danke an all die, die einen unterstützen und für einen da sind.

    Diese Erkrankung ist unberechenbar und unvorhersehbar – und vor allem unsichtbar.

    An alle Angehörigen: Ich kann mir vorstellen, wie hart es ist, wenn man schon wieder von einem Betroffenen angeschnauzt wird, nur weil man ein Kochbuch gekauft hat! Aber, zumindest bei mir, Ernährung ist ein echt sensibles Thema und Fakt ist, jeder CEDler verträgt die unterschiedlichsten Dinge. Der eine kann Döner, der andere eben nicht. Das muss jeder für sich individuell herausfinden. Ich ziehe meinen Hut vor eurer Geduld mit Menschen wie uns, und ich muss gestehen, ich finde die Position, die ihr habt, um einiges schwieriger. Ihr sitzt da und könnt nur zuschauen, wie es einem immer schlechter geht.

    Ihr könnt nichts machen, außer zu hoffen und die schlechte Laune von uns zu ertragen. Ihr seht all das Leid und doch seid ihr machtlos. Doch wenn ihr mal wieder blöd von der Seite angemacht werden solltet, versucht, es nicht persönlich zu nehmen. Diese Schmerzen machen einen verrückt, und manchmal ist man dann zur falschen Zeit am falschen Ort und ist dann der Pol, an dem sich entladen wird. Ist irgendwie nicht fair, ich weiß. Aber glaubt mir, es ist in der Regel nie so gemeint, wie man es denkt. Geht offen mit euren Gefühlen um, und wenn jemand mal die Grenze überschreiten sollte, sagt es, aber wartet einen ruhigen Moment ab.

    Und an alle, die nichts mit einem CEDler zu tun haben: Es ist schwer zu verstehen, wenn der Arbeitskollege lacht und Spaß macht und im nächsten Moment „angeblich“ Schmerzen hat. „Gestern war er noch auf dem Konzert und heute kann er nicht arbeiten?!“ – Ja! Das macht erst einmal einen seltsamen Eindruck, aber glaubt mir, das wissen wir. Doch oft überkommt einen über Nacht der Schmerz und man ist erschöpft und versteht vielleicht selbst nicht einmal mehr, wieso es ausgerechnet jetzt passiert.

    So ist das eben. Diese Erkrankung ist unberechenbar und unvorhersehbar – und vor allem unsichtbar. Ja, wir sehen irgendwie gesund aus. Wir haben gelernt, mit den Schmerzen zu leben, deshalb kann ich lachen. Aber manchmal ist eben doch nicht alles gut. Also, bevor ihr über jemanden urteilen wollt, geht hin, fragt persönlich nach, was los ist, denn nichts ist schlimmer, als zu wissen, dass hinter dem Rücken geredet wird und dass Vermutungen und ein Bild im Raum stehen, die einfach nicht wahr sind.

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