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    „Lieber mit Beutel als tot“

    Fotos: Nicole Engel

    Wir sprechen mit Nicole Engel, der Begründerin der Website darmlifestyle.de, in einem sehr persönlichen Interview über ihr Leben vor und mit einem Stoma, ihre Morbus Crohn Erkrankung und ein eigentlich ganz normales Leben.

    Frau Engel, wie haben Sie herausgefunden, dass Sie an Morbus Crohn erkrankt sind? Welche Symptome hatten Sie und wann kam die Diagnose?

    Ich war ungefähr 16 als ich immer mal wieder Bauchweh und Durchfall hatte, was ich auf den Schulstress und die unregelmäßige Ernährung schob. Es war auszuhalten und hatte den Effekt, dass ich ein paar Kilos verlor, also alles okay. Aber die Durchfälle nahmen zu und das Bauchweh wurde zu Krämpfen, die mich oft zum Erbrechen brachten. Außerdem dachte ich, ich habe Hämorriden, was sich später als Abszess mit Fistelgang herausstellte, der operiert werden musste. (Eine furchtbar schmerzhafte und intime Erfahrung für einen Teenie. Denn ich musste täglich meinen Hintern jemand anderem zeigen, der daran herum wurschtelte. Ich habe mich so geschämt.)

    Trotz allem habe ich mich durch die Schule gequält und sogar das Abitur geschafft, trotz 40°C Fieber in der mündlichen Prüfung. Ich wollte schließlich am Leben teilnehmen, und keine Schule hieß auch keine Party. Das mein Darm entzündet war, wusste ich und ich nahm damals auch Medikamente wie Cortison und Salofalk, aber nicht wirklich regelmäßig. So hatte der MC die Chance sich auszubreiten und er wütete im gesamten Dickdarm.
    1997 fand ich mich unter Morphium im Bezirkskrankenhaus wieder, mit gerade mal 56kg und ohne jegliche Lebensgeister. Da wurde mir wirklich bewusst, wie ernst diese Krankheit war und das ich mein Leben lang mit ihr kämpfen werden.

    Über Umwege kam ich, 1.000 km weit entfernt von der Heimat, zu einem Spezialisten, der mich buchstäblich von der Schippe kratzte. Er stellte mich medikamentös ein und zusammen bekamen wir die Krankheit in den Griff. Ich war nie beschwerdefrei, aber ich konnte wieder am Leben teilnehmen.

    Ich machte meine Ausbildung als techn. Zeichnerin im Maschinenbau, bezog meine erste eigene Wohnung und schloss neue Freundschaften. Natürlich unter ständiger Begleitung vom MC, der immer wieder schubweise in mein Leben crashte. Während eines solchen Schubes verlor ich innerhalb weniger Tage viele Kilos, da der Darm dann so entzündet ist, dass er nichts mehr verarbeitet. Das Essen rutscht im Prinzip durch und nichts bleibt hängen. Man rutscht schnell in einen Nährstoffmangel bis hin zur Anämie. Es kostet enorme Kraft sich jedes Mal wieder da raus zu kämpfen.

    Der künstliche Darmausgang wurde bei Ihnen ja erst nach der Geburt Ihres Kindes vor acht Jahren gelegt. Warum wurde das erst so spät gemacht?

    Während der Schwangerschaft ging es mir phantastisch, ich war beschwerdefrei und hab die Zeit in vollen Zügen genossen. Der Junior kam ein bisschen zu früh und zu schnell, aber kerngesund zur Welt.

    Als er ungefähr drei Monate alt war kam die CED (chronisch entzündliche Darmerkrankung) mit voller Wucht zurück. Ich hatte neben den üblichen Problemen auch enorme Begleiterscheinungen, die ich aus den Jahren davor nicht kannte. Eine Zahnentzündung brachte mich drei Tage in die Zahnklinik, mit untertellergroße Erythema Nodosum an beiden Schienbeinen konnte ich nicht mehr laufen und ich verlor rapide an Gewicht. Das alles mit einem Kleinkind, das versorgt werden musste. Ich funktionierte mehr schlecht als recht.

    Mit nur noch 50 kg (1,78 cm groß), eine Schüssel unterm Hintern, die andere auf den Knien, sah ich mein Kind auf der Spieldecke im Bad und spürte Ich sterbe! Das war der Punkt, an dem ich mich für mein Stoma entschied.

    Dann ging alles ganz schnell und acht Tage später lag ich auf dem OP-Tisch. Leider gab es einige Probleme, denn mein Körper wehrte sich vehement gegen diesen Einschnitt, mit Allergien, Wundheilungsstörungen und Abszessen. Nach fünf Wochen, am 31.12.2010 durfte ich endlich die Klinik verlassen und begann das neue Jahr mit einem gut angelegten und gut zu versorgenden Ileostoma.

    Schränkt Sie das Stoma im Alltag ein?

    (Ein ganz klares) NEIN! Ich möchte keine Werbung für ein Stoma machen, aber hätte ich gewusst, wie unkompliziert es sein kann, damit zu leben, hätte ich mich früher dafür entschieden. Natürlich spielt da die Vorerkrankung auch eine Rolle. 

    Wie ist es mit einem Kleinkind und einem künstlichen Darmausgang? Kann es passieren, dass der Beutel einfach abfällt oder – noch schlimmer – abgerissen wird?

    Die Gefahr besteht schon, aber sie ist verschwindend gering. Wenn man die richtige Versorgung für sich gefunden hat, hält sie perfekt und man kann im Prinzip alles tun was man mag, außer kontrolliert pupsen. (lacht)
    Situationsbedingt können Helferlein von Nutzen sein. Beim Schwimmen oder Trampolin springen helfen Bauchbänder die Versorgung an Ort und Stelle zu halten, im Auto klemmt ein Kissen zwischen Bauch und Gurt und in der Achterbahnfahren schützt eine Plastikdose vor dem Druck durch den Bügel. 

    Wie geht Ihre Familie und Ihr Umfeld mit der Erkrankung um?

    Mein Mann sagte damals: „Lieber mit Beutel, als tot.“, daraus entstand mein Motto „Lieber Beutel am Bauch, als Zettel am Zeh.“ Er hat mich drei Wochen nach der OP gefragt, ob ich ihn heirate und während der Reha haben wir den Termin festgelegt. Meine Mama hat drei Monate lang alles stehen und liegen lassen um uns zu unterstützen, wofür ich ihr sehr dankbar bin.
    Ich gehe sehr offen mit dem Thema um und habe bisher keine schlechten Erfahrungen gemacht, niemand hat sich von mir abgewandt. Leider ist das nicht bei allen Betroffenen so.

    Und wie geht es Ihnen mittlerweile damit?

    Jetzt bin ich 40 Jahre alt, chronisch krank, Stomaträgerin, schwerbehindert und Rentnerin, aber am Leben und glücklich! Ich war stärker als das, was mich umbringen wollte und ich bin stolz auf meine Narben! Nicht wegen der Geschichten, sondern weil ich sie überlebt habe! Mit dieser Lebenseinstellung gehe ich vorwärts und genieße meine Freiheit. Ich rede oder schreibe locker und mit viel Humor über den Darm, Darmerkrankungen und allem was dazugehört. Ich möchte Aufklären, zum Nachdenken anregen, Zeichen setzen und Menschen ermutigen über das Thema zu sprechen und es so aus der Tabu-Zone holen. Darum bin ich vielseitig aktiv und engagiere mich.

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