Wenn sich andere Frauen im Sommer bikinifrisch am See, oder in engen Oberteilen in der Stadt tummeln, streifen meine Blicke ihre schönen und geraden Rücken und manchmal frage ich mich dann, wie ich selbst wohl aussehen würde, wenn meine Wirbelsäule nicht schief und verdreht wäre.
Aber dann besinne ich mich doch schnell wieder und mir wird klar, dass genau dieser Rücken meine Realität und auch Normalität ist, und DAS, ist wirklich gut so!
Ich bin Franzi. Franzi Mühlhause – und ich bin die „Frau ohne Taille“.
Diagnose: Vierbogige” Thorakalskoliose mit starkem Lendenwulst, lumbosakraler Gegenkrümmung und seitlicher Hüftprominenz an der thorakalen Konvexseite.
Als ich 11 Jahre alt war, erfuhr ich bei einer Aufnahmeuntersuchung in der Mutter-Kind-Kur, dass mit meinem Rücken etwas nicht stimmte.
Kurz darauf machten meine Eltern einen Termin in einer Kinderorthopädie.
Es folgte die typische Wartezimmersituation: warten, sitzen, „Mama, wann können wir endlich nach Hause?“, Arztzimmer, kurz den Rücken begutachtet, dann Röntgen, vom Röntgen ins Wartezimmer, sitzen, warten, dann Arztzimmer und schließlich das Ergebnis der Röntgenaufnahmen: Eine beginnende Skoliose, die aus Erfahrung heraus mit dem Wachstum schlechter wird. Daher, Physiotherapie, eventuell eine konservative Korsett-Therapie und wenn alle Stricke reißen, ist der letzte Ausweg die Versteifung der Wirbelsäule durch eine neunstündige Operation.
Erstaunlicherweise habe ich mir nie wirklich Sorgen gemacht, denn schon als Kind hatte ich ein gutes Gefühl für meinen Körper und Vertrauen, dass er mir das Leben nicht mit Absicht schwer machen wird. Ein paar Jahre vergingen, die ich ganz brav mit Physiotherapie verbracht habe. Ganz ehrlich, ich habe es gehasst. Wenn Freunde aus meiner Klasse im Sommer in den Park gegangen sind oder in die Eisdiele, musste ich zur Physiotherapie und turnen um meine Rückenmuskeln gezielt zu stärken, sodass die Verschlimmerung der schiefen Wirbelsäule quasi unmöglich wird. Mittlerweile war ich 15 Jahre und tatsächlich, meine Skoliose wurde, trotz Physiotherapie, schlimmer.
Es folgten fünf Wochen Reha, in welcher Freundschaften geschlossen wurden und das erste Mal in einer Kneipe ein Banane-Hefeweizen-Bier getrunken. Das war wirklich aufregend, soll aber nicht bedeuten, dass diese fünf Wochen Ferien waren, ganz im Gegenteil. Die ersten Wochen waren hart, weil Regionen im Körper aktiviert wurden, von denen ich dachte, sie seien tot. Bedeutete: Muskelkater ohne Ende.
Ganz besonders erinnere ich mich an eine Freundin die ich dort kennenlernte. Yvonne war 17 Jahre und hatte ebenfalls eine deutlich ausgeprägte Skoliose. Der einzige Unterschied zwischen uns war, dass ich meinen Rücken schon immer sehr geliebt habe und nie Probleme mit der optischen Wirkung hatte. Yvonne allerdings, wollte nicht ins Schwimmbad, keine engen Oberteile tragen. Sie hat sich versteckt, sich geschämt für ihren Rücken. Oft hat mich das nachdenklich gemacht, dass ein Rücken so im Fokus des eigenen Glücks stehen kann…
In Bad Sobernheim hatte ich knapp 50 Grad Verkrümmung. Laut Orthopädie heißt es, dass eine Skoliose ab 45 Grad operiert, also versteift wird. Die Ärzte rieten mir dazu, es tun. Vielleicht habe ich kurz darüber nachgedacht, aber nie wirklich ernst. Ich hatte keine Schmerzen und auch psychisch keine Probleme damit, dass mein Rücken aussieht, wie er aussieht, also warum operieren lassen? Die Schulzeit war entspannt. Es gab keinen in meiner Klasse, der mich wegen meines Rückens gemobbt oder gestichelt hat. Wahrscheinlich auch deswegen, weil ich damit offen umgegangen bin, so gab es keine Angriffspunkte.
Kurz nach der Reha, kam das Korsett. Die Kurzfassung von meinem Korsett und mir? Ich habe es drei Monate wirklich versucht. Aber im Sommer schwitzte ich mich kaputt, es rieb, engte ein, ich aß weniger und so banal es klingt, mit 15 möchte man Jungs auffallen. Aufgefallen bin ich sicher aber verliebt hat sich keiner.
Nach diesen drei Monaten habe ich mit meinem Rücken solch einen Frieden geschlossen, dass ich den Plastik-Panzer aus meinem Zimmer verbannt habe.
Es vergingen wieder einige Jahre, mittlerweile hatte ich mich auch selbst aus der orthopädischen Behandlung entlassen, denn ich habe einfach keinen Sinn darin gesehen, noch weiter an mir herumdoktern zu lassen. Am Ende ist es der Körper, in dem ICH lebe. Ich ganz allein. Und wenn es mir gut geht, warum etwas ändern?
Als ich 22 Jahre war – ich weiß nicht, was mich da geritten hat – bin ich noch einmal zu einem Orthopäden gefahren. Als der Arzt meinen Rücken sah, hat er die Hände über seinem Kopf zusammengeschlagen und mir dringend zu einer OP geraten, am liebsten gestern.
Eine Operation… Nun, es kann sein, dass ich irgendwann nicht drum herumkomme, aber so lange, wie es geht, bin ich dankbar. Denn bei so einer Wirbelsäulenversteifung werden alle Bandscheiben entfernt und zwei Metallstäbe eingesetzt. Wie soll man so aus der Badewanne kommen? Oder Achterbahn fahren? Oder Schuhe zubinden? Kein Witz, nach einer solchen Operation bekommt man ein Heftchen mit, welche Sexstellungen noch im Rahmen des Möglichen sind. Schwanger werden mit einer versteiften Wirbelsäule, wo doch alle Schwangeren automatisch ein Hohlkreuz entwickeln, ist kaum machbar, zumindest nicht ohne ein bestimmtes Risiko.
Diese Gedanken, unter Berücksichtigung aller Fakten, sollten mich also mit 22 Jahren eine derartige Entscheidung treffen lassen. Es war unmöglich. Kurz darauf habe ich einen Termin bei einem weiteren Skoliose-Spezialisten gemacht.
Er sah meinen Rücken, schaute mich an und sagte: „Die Menschen sollen zuerst in Ihr Gesicht sehen, da spielt der Rücken keine Rolle.“ Weiter machte er mir Mut, denn er sagte, dass eine Operation teilweise mehr Verschleißerscheinungen verursacht, als der Originalzustand. Auch könne man mit so einer Skoliose, wie ich sie habe, 100 Jahre alt werden. Seit diesem Termin habe ich keine orthopädische Praxis mehr von innen gesehen.
Dieser Rücken ist ein Teil von mir, wie Nase, Augen und Ohren. Heute, mit fast 31 Jahren kann ich sagen, dass ich meinen Rücken aus tiefstem Herzen liebe. Und die neuen Therapiemöglichkeiten ein großer Fortschritt für die jungen Patienten sind.
Selbst ein Mann, der vor einigen Jahren abstoßend auf meine Rückseite reagierte, konnte dieses Gefühl nicht in Frage stellen.
Menschen haben nun mal Narben, Fehlbildungen, Behinderungen. Einige von ihnen sind innerlich verwundet, durch Panikattacken oder Depressionen. Manche Menschen sind adipös, andere bulimisch. All diese Sachen sind aber nichts, worauf wir uns konzentrieren sollten, sondern auf Liebe, Vertrauen, Verständnis und Respekt.
Alles, was in dieser Seele ist, die unseren Körper bewohnt, ist ausschlaggebend. Der Rest ist eine Hülle, ein Tempel, der gepflegt werden will, aber auch Werkzeug, um von A nach B zu kommen.
In diesem Sinne, Selbstliebe ist für alle da. Wir müssen nur zugreifen!
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