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    Medizin für Menschen

    Foto: Syda Productions via Shutterstock.com

    Die Welt verändert sich – zum Glück! Auch wenn wir bedauerlicherweise immer noch von einem Gender-Pay-Gap sprechen müssen und in Vorstandsetagen die Frauenquote diskutieren, gibt es einen Bereich, in dem das Geschlecht – zumindest auf den ersten Blick – erst einmal keine Rolle spielt: die Tumormedizin.  

    Prof. Dr. Wolfgang Knauf

    Vorsitzender vom Berufsverband der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen in Deutschland e. V.

    Wir Ärztinnen und Ärzte behandeln Menschen. Welche Diagnostik und Therapie notwendig ist, bestimmt die Erkrankung – ob uns dabei eine Frau oder ein Mann gegenübersitzt, ist erst einmal irrelevant. Doch ein zweiter Blick ist wichtig – denn auch wenn bei einer Krebserkrankung in erster Linie der Tumor sagt, wo es langgeht, müssen unbedingt auch die individuellen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten berücksichtigt werden. Und hier müssen wir eben doch einen Unterschied machen: Männer und Frauen sind nicht gleich. Wobei wir auch keineswegs alle Frauen – und auch nicht alle Männer – über einen Kamm scheren dürfen. Es kommt immer auch auf das Alter und die jeweiligen Lebensumstände an. So ist es zum Beispiel ein Riesenunterschied, ob eine Patientin noch mitten in ihren Monatszyklen oder bereits jenseits der Wechseljahre ist, ob die Familienplanung abgeschlossen ist oder ein Kinderwunsch besteht. Auch familiäre oder soziale Belastungssituationen sollten einbezogen werden. Alle diese Begleitphänomene erfordern unter Umständen ein unterschiedliches Vorgehen bei der Therapie. So muss ich als Arzt natürlich bedenken, dass eine Frau, die unter ihrer Menstruation leidet, sich deswegen körperlich oder psychisch vielleicht nicht wohlfühlt und deshalb einer ungleich stärkeren Belastung ausgesetzt ist als ein Mann. Eine sehr häufig gestellte Frage ist die nach der Fertilität nach einer Chemo- oder Strahlentherapie. Die positive Nachricht: Heutzutage gibt es vielfältige Möglichkeiten, die Fruchtbarkeit einer Frau zu erhalten. So können zum Beispiel die Eierstöcke während der Durchführung einer Chemotherapie durch die Gabe von Medikamenten geschützt beziehungsweise vorübergehend lahmgelegt und somit unangreifbar gemacht werden. Bei der Notwendigkeit einer Strahlentherapie bei einer noch menstruierenden Frau, die vielleicht noch einen Kinderwunsch hat, ist es sogar möglich, die Eierstöcke durch einen minimalinvasiven chirurgischen Eingriff so zu verlegen, dass sie außerhalb des Strahlenfeldes liegen. Und natürlich können vor einer Therapie Eizellen gewonnen und eingefroren werden – genau so wie Sperma auch.

    Medizin ist längst keine starre Wissenschaft mehr – vorbei die Zeiten, in denen fast ausschließlich Männer als Götter in Weiß versuchten, Heil zu bringen. Patientinnen und Patienten haben heutzutage nicht nur ein Mitspracherecht – sie sind oftmals gut informiert und wollen nicht der Spielball ihrer Erkrankung sein. Zudem gibt es mehr und mehr Fachärztinnen, die ihrerseits einen anderen Zugang zu den vermeintlich (!) weichen Faktoren haben. Über alledem steht die Tatsache, dass Medizin für Menschen ist. Und dazu gehört, jeden Einzelnen von ihnen individuell zu betrachten, zuzuhören und sich die Zeit zu nehmen, gemeinsam die bestmögliche Therapieentscheidung zu treffen. Völlig unabhängig vom Geschlecht. 

    Etwa 230.000 Frauen erkranken in Deutschland jährlich an Krebs. Brustkrebs liegt dabei mit deutlichem Abstand und 67.500 Neuerkrankungen jährlich auf Platz 1. Dahinter folgen Darm-, Lungen-, Gebärmutter- und Hautkrebs.

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